Vorab-Streams für Journalisten gab es nicht, Vorab-Werbung hat Billie Eilish auch gar nicht mehr nötig. Wer mit 19 Jahren schon ganz oben im Olymp angelangt ist, muss sich nicht mehr nach unten beugen.

Jetzt ist es also hier, das mit Hochspannung erwartete zweite Album von Billie Eilish, wieder gemeinsam aufgenommen mit ihrem Bruder Finneas, der der "kleinen Schwester" bereits beim Blockbuster-Erstling "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?" (2019) tatkräftig unterstützt hat. 16 Songs hat Eilish auf das neue Album "Happier Than Ever" gepackt, exakt 56 Minuten und 15 Sekunden dauert das Hörerlebnis. Und es ist wieder eines, wenngleich etwas anders als auf dem mit Preisen überhäuften Erstling.

Der Songreigen beginnt überraschend ruhig mit dem Song "Getting Older", in dem Eilish - erraten - übers Älterwerden singt. Ihre zerbrechliche, aber sehr präsente Stimme ist raumgreifend, das Lied selbst hat allerbeste Songwriterqualität, erinnert gar an Old-School-Crooner. Sie habe eine zeitlose Platte machen wollen, betonte die 19-Jährige in einem Interview. Und habe sich von Künstlern beeinflussen lassen, mit denen sie aufgewachsen ist: Frank Sinatra, Peggy Lee.

Musikalisch hört man wieder deutlich die Handschrift des Bruders durch. Die Songs sind von feinen Elektronikfäden durchzogen, die Beats sind gut platziert und nicht allzu aufgeregt. Das trifft insgesamt auf die Grundstimmung dieses Albums zu. Es ist, als ob Eilish sagen wollte: Leute, das ist ein Popalbum, ein gutes hoffentlich. Aber nicht mehr, allerdings auch nicht weniger. Vielleicht ist das auch ein guter Zeitpunkt, die mediale Hypemaschine etwas zu drosseln.

Die großen Hits zeichnen sich nicht ab, aber "Oxytocin" etwa ist schon ein klassischer Eilish-Song, auf den sich alle einigen könnten. "Es steckt viel Selbstreflexion in diesem Album", hat Eilish schon im Vorfeld wissen lassen. Textlich nimmt sich Eilish auch diesmal kein Blatt vor den Mund. Sie singt über übermächtige Männer ("Your Power"), den Kampf um ein halbwegs normales Privatleben ("NDA") oder Selbstermächtigung.

Das Album sie "lustig und ruhig" meint Eilish. Nun, lustig ist relativ. Die große Depression ist aber offenbar einer gediegenen Melancholie gewichen. Und ruhig ist das Album allemal - vermutlich zu ruhig und zu wenig stylish für die jungen Massen.

Und so soll man das neue Album laut Gebrauchsanweisung von Billie Eilish selbst hören: "In einem Auto mit guten Lautsprechern. Draußen regnet es vielleicht. Und dann hört einfach zu." Das ist eine gute Idee. Denn "Happier Than Ever" ist schöne Regenmusik - aber immer wieder dringt die Sonne durch.