Es gibt Todesnachrichten, die vergisst man nicht. Weil man den Menschen, der zur "Nachricht" gehört, so geschätzt hat. Oder weil die Örtlichkeit, an der einem die Nachricht erreicht hat, so fest haften bleibt im Gedächtnis. In diesem Fall trifft beides zu.

Ich erfuhr vom Tod Ludwig Hirschs auf einem Friedhof. Es war der 24. November 2011. Ich stand an einem offenen Grab, der Tag war klischeehaft nebelverhangen, da läutete das Telefon. Handys gab es   damals schon - und Idioten, die es auch an einem solchen Ort eingeschaltet haben. "Der Hirsch ist tot", plärrte es aus dem kleinen Ding. Ich: "Das gibt's nicht." Erst später registrierte ich, dass das fast ein Satz aus einem Ludwig-Song ist. "Und ich werd' singen, ich werd' lachen, ich werd ,das gibt's net' schrein..." Die Textzeile stammt aus einem der bekanntesten Lieder von Ludwig Hirsch: "Komm großer schwarzer Vogel."

Das gibt's nicht! Jetzt hat der große schwarze Vogel also den Ludwig Hirsch geholt. In der Redaktion erfahre ich Details, aber viel erfährt man nicht, will man gar nicht erfahren. Diesen Tod hat man so behandelt wie den Menschen dazu: mit Ehrfurcht und Anstand, ohne Neugier und Sensationsgier. Ludwig Hirsch ist tot. Gestorben in einem Krankenhaus. Er war krank. Jetzt ist er gegangen. Weil er es so wollte. Autonom bis in den Tod hinein, das war der Ludwig. Das Du-Wort hat er mir erst beim letzten Interview angeboten, es muss wenige Monate vor seinem Weggehen gewesen sein. Hirsch war keiner, der mit jedem verhabert war. Und seine Freunde hat er sich gut ausgesucht.

Viel wird geschrieben und gesagt in diesen Tagen über Ludwig Hirsch. Und jetzt hört man auch wieder seine Lieder, die man eigentlich immer hören sollte, nicht nur jetzt. Weil sie so schön traurig sind, dunkelgrau natürlich, aber nicht nur. Denn der Ludwig, das darf man nicht vergessen, war nicht nur ein dunkelgrauer Mensch, ein verletzlicher, ein trauriger, ein nachdenklicher, sondern auch ein kunterbunter, ein fröhlicher, ein zärtlicher, ein aufmerksamer. Ein: Mensch.

Die biografische Pflichtübung: Geboren am 28. Februar 1946 als Sohn eines Arztes in der Oststeiermark, schaffte Hirsch den Durchbruch bereits mit seinem Debütalbum "Dunkelgraue Lieder" 1978. Die wurmstichige Moritat "I lieg am Ruckn" wird nie vermodern, hat Ewigkeitscharakter, fast 40 Jahre später singt sein musikalisches Enkelkind Voodoo Jürgens: "Heite grob ma Tote aus". So schön und zwingend kann sich Tradition fortsetzen - über den Tod hinaus. Dass der Voodoo, also der David Öllerer, 2018 mit einem Hirsch-Programm auf Tournee ging, war dann nicht nur eine ehrfürchtige Hommage auf den musikalischen Opa, sondern der logisch gesetzte Schlussstein.

Die dunkelgrauen Lieder also. Kulturgut längst. Die Omama, der Herr Haslinger, der blade Bua, der Dorftrottel. Ludwig Hirsch hat immer schon gewusst, dass die Guten ganz schön bös sein können und die Blöden ganz schön g'scheit. Mit seinen Liedern streute Hirsch Salz in die offenen Wunden dieses Landes - und Österreich schrie laut auf: "Auh!" Er sang über den faschistischen Mief in den Schulen, über Behindertenquälerei und Ausländerhetze, über grausame Großmütter, die am Mutterkreuz ersticken, und über biestige Clowns. "Die Menschen einlullen und ihnen dann ein bissl in den Hintern zwicken, das mache ich schon gerne", hat der Ludwig in einem Interview einmal erzählt. Und verschmitzt gelächelt.

Gelächelt hat er oft. Nicht laut aufgelacht, das nicht. Ludwig Hirsch war kein Lauter, kein Schenkelklopfer, eher ein Fingerklopfer. Er hat den Menschen mit seinen Liedern auf die Finger geklopft, um ihnen zu sagen: Das tut man nicht! Das gehört sich nicht! Das ist nicht anständig! Ludwig Hirsch war ein Anständiger.

Doch so sehr er es manchmal abschütteln wollte, weil diese Farbe schon sehr drückend ist - das Dunkelgraue blieb hängen. Und seine Todesnähe, die man oft mit Todessehnsucht verwechselt hat. Diese Sehnsucht kam erst ganz zum Schluss...

Die erfolgreiche Karriere als Musiker und mehr als 20 Platten lassen den Schauspieler Ludwig Hirsch fast in den Hintergrund treten. Zunächst absolvierte Hirsch ein Grafikstudium, dann besuchte er die Schauspielschule und wurde nach Engagements in Deutschland 1975 zum Ensemblemitglied in der Wiener Josefstadt. Dem Theater kehrte er nie gänzlich den Rücken, zuletzt spielte er in Tschechows Untergangskomödie "Der Kirschgarten".

Wenn man genau hineinhört in seine Lieder, muss man über den Tod von Ludwig Hirsch gar nicht viele Worte verlieren. Über sein Leben schon, aber über den Tod? Die Freiheit, in Würde sterben zu dürfen, war das Thema von Hirschs zweiter Platte. "Komm, großer schwarzer Vogel" geriet zum kleinen Skandal, weil es als Anleitung zum Selbstmord gesehen wurde. "Ich werd dir schildern, wie das Lied entstanden ist", sagte Ludwig Hirsch im für seine Verhältnisse reschen Ton im letzten Interview mit mir. "Eine liebe Freundin war nach einem Unfall ab dem Hals gelähmt, hing an tausend Schläuchen. Und irgendwann hat sie versucht, sich diese Schläuche mit dem Mund aus dem Leib zu ziehen."

Komm großer schwarzer Vogel:

"Und dann fliegen wir rauf, mitten in Himmel rein,
in a neue Zeit, in a neue Welt.
Und ich werd' singen, ich werd' lachen,
ich werd' ,das gibt's net', schrei'n,
weil ich werd' auf einmal kapieren
worum sich alles dreht."

Hab's gut in der neuen Welt, Ludwig.

P.S.: Dem Ludwig Hirsch hätt's wohl gefallen, wenn auch diese Geschichte mit einem kleinen Lächeln, einem kleinen Zwicker endet. Deshalb eine Episode aus einem Interview mit seiner langjährigen Ehefrau, der Schauspielerin Cornelia Köndgen. Sie erzählte davon, wie sie mit Hirsch das erste Mal in Wien ins Kino ging und er sie fragte, ob sie auch "Sportgummi" möge. Köndgen, eine Deutsche, kannte das süße Naschzeug nicht, dachte bei "Sportgummi" an etwas ganz anderes und war ziemlich empört. Als Ludwig Hirsch das schlüpfrige Missverständnis aufklärte, haben beide herzhaft gelacht - und gemeinsam Sportgummi genascht.

© KK

Buchtipp: Cornelia Köndgen. Mit einem kleinen Schuss ins Rot. Die Jahre mit Ludwig Hirsch. Seifert-Verlag, 280 Seiten, 24,90 Euro.