Press Club – Separate Houses

Ein ordentlicher Lärmbatzen, dessen Gitarren Anfang des Jahres die winterliche Trägheit aus den Gehörgängen frästen. Gerade mal sechs Monate nach dem Erstlingswerk legten die Australier ihr zweites Album vor, es rumpelt, kracht und krächzt wie in den 90ern. Auf der Südhalbkugel ist man in Sachen Rock n´ Roll entweder viel zu spät dran – oder seiner Zeit deutlich voraus. 

Voodoo Jürgens – Angst haum´s 

Gepflegte Wiener Selbstverzagung mag in dunklen Tag wie ein erstrebenswerter Lebenswandel wirken. Voodoo Jürgens, der Name wird mit der Zeit auch nicht besser, schaut wieder dem Wiener Prekariat auf Maul und findet dort seinen poetischen Wetzstein an dem er sich mitsamt Kneipenbass, Schifferklavier und Zuchthausorgel stilgerecht abarbeitet. Und dabei Geschichten erzählt, die mehr über unsere Zeit sagen als jeder Zeitungsessay, jede Politikerrede und jedes Social-Media-Posting – über das Schaulaufen der Verzagten im Beisl und natürlich über die Angst, die aus den gesellschaftlichen Rissen heranwächst. Tatsächlich: ein wichtiger Song. 

Big Thief – Not

Wieder so ein Band, die gleich zwei Alben binnen zwölf Monaten vorlegte. „Not“ entstammt den Zweitgeborenen und führt das sonst auf friedlichen Folkwellen dahinschunkelnde Quartett ungewohnt direkt in stürmische See, besonders die zweite Hälfte offenbart unter der glitzernden Oberfläche schroffe Riffs und ist somit packender, näher und eindringlicher als von den Amerikanern gewohnt. Stets leicht entrückt und doppelbödig wandert „Not“ auf den Pfaden von Crazy Horse in die Dunkelheit. 

Thom Yorke - Dawn Chorus

Ein Album gegen die kollektive Fremdbestimmtheit, bedingt durch den Vormarsch der Maschinen in unser aller Leben. Klingt prätentiös, ist bei Thom Yorke aber ein wunderbarer Widerspruch, denn: Natürlich kommt der Protestsound aus den kühlen Konserven der Drumcomputer und Synthesizer, doch in der Verbindung mit der warmen Melancholie der Yorkschen Erzählungen wird daraus der vielleicht schönste Song des Jahres.

Tool - Invincible 

Was soll man da noch sagen oder schreiben. Als Tool ihr letztes Album veröffentlichten, war George Bush im Amt, das iPhone noch nicht erfunden und YouTube feierte den ersten Geburtstag. 13 Jahre hat es gedauert, um die sechs neuen Songmonolithen zu schnitzen, keiner unter zehn Minuten lang. Die Metal-Akademiker verlieren sich dabei jedoch nie in der drohenden Selbstverliebtheit, sondern parken nach wie vor Riffs, aus denen andere Bands ganze Karrieren basteln, einfach so bei Minute neun. 

Billie Eilish – Ilomilo

Die Superheldin der Stunde. Ihre Superkraft: Öffentlichkeit. Die ganze Welt schaut einer Teenagern dabei zu, wie sich selbst erfindet. Sprunghaft, pubertär – und dazu noch offenkundig klug und mit denselben Problemen konfrontiert wie ihre Altersgenossen: Wie soll man in Zeiten von Social Media noch in Würde leiden? Durch wunderbare Elektropop-Serpentinen wie „Ilomilo“ hauchen die ewigen Fragen der Teenager-Jahre: Wie soll das werden mit mir und dieser Welt? Nur der neue Blickwinkel ist überfällig: Feminin, im Zwiebel-Look, der nicht länger dem männlichen Blick gewidmet ist und vor allem mutig. Landsmänner von Eilish, in ihren Augen wohl Großväter, dürften sie und ihre Generation gemeint haben als sie einst sangen: The Kids are alright. 

Daphni – Sizzling

Beat, Loop, Sample – passt schon! Der perfekte Elektro-Song, 70s-Disco trifft auf Dupi-Dupi–Beat. Schleichend und ohne nervigem Effektgefummel um das Warten auf den Drop kickt die Bassdrum erst nach mehr als zwei Minuten und holt plötzlich die Soul-Ekstase aus dem Computer. Was nicht zusammenpassen sollte fügt sich zur Quadratur des Schaltkreises. 

I am Oak – Tundra

Traumgleiche, federleichte Songs, die über die Schwere der Texten hinwegtäuschen. Vielleicht die übersehenste Platte des Jahres, vielleicht dem Umstand geschuldet, dass die Band mit dem Heimatort Utrecht einen Startnachteil gegenüber der Soundverwandschaft aus den Folk-Staaten aufzuholen hat. Scharfsinnig mag man anfügen, dass die Songs dafür umso mehr klingen, als kämen sie nicht aus diesem Americana – sondern aus einer besseren Welt. 

Leif Vollebekk – I´m not your lover

Keine Bestenliste ohne Beitrag aus Kanada: Leif Vollebekk meditiert über stur-metronomischer Rhythmik und lässt Gedanken und Gitarre freien Lauf. Nick Drake war vorher, ok – aber schlechter ist das hier ganz sicher nicht. 

EOB – Brasil

Gleich noch ein Beitrag aus dem Radiohead-Lager: Gitarrist Ed O´ Brien kündigt für 2020 sein erstes Soloalbum an und schickt mit „Brasil“ eine Single voraus, die gleichsam bekannten wie unbekannten Boden beackert. Was mit atmosphärischem Gezupfte beginnt, dreht sich danach mit dickem Beat bis zum psychedelischen Schwindel um die eigene Achse. Sind dann doch irgendwie dieselben Zutaten wie bei Radiohead, aber hier in Einzelteilen zu betrachten, ausgerollt wie ein duftender Teig anstatt manchmal zu lange im Ofen gewesen. 

Mark Pritchard – Come let us

Es gibt jene die sagen, das beste am Kino seien die Trailer. Da sind die Filme noch so, wie sein wollten – und nicht so, wie sind dann geworden sind. Umgelegt auf die Musik macht Mark Pritchard lauter phantastische Trailer für das kopfeigene Geflimmer. „Come let us“ zitiert monodrönend aus Genesis und skizziert Bilder, die gleichzeitig die Apokalypse wie die Hoffnung umreißen könnten. Trailer eben, für die gelungene filmische Umsetzung ist die innere Regie zuständig. 

Apparat – In Gravitas

Ein sphärischer Kokon, aus dem sich nach zwei Minuten ein treibender Techno-Track schält. Und dann, ganz am Ende und vor der inneren Einkehr, erhebt die Maschine mit Roboterstimme entsetzt den Zeigefinger in Richtung Menschheit 2019, in ihrer kühlen Logik mehr Gewissen vorfindend als der Rest der Welt noch übrig zu haben scheint: 

statues erected, to no one elected
children point fingers and objects fall down.