Bewertung: ****

Sie war immer DIE Lady. Eine Anrede, die Weltstar Billie Holiday blieb, selbst wenn sie Männer und Manager längst nicht mehr wie eine behandelten. Binnen eines Jahres kamen gleich zwei neue Filme heraus, die das Leben der Jazzikone mit dem bürgerlichen Namen Eleanora Fagan (1915–1959) ausleuchten. Während das dick aufgetragene, mitunter rauschhafte „The United States vs. Billie Holiday“ mit Andra Day in der Hauptrolle es mit den Fakten und Details nicht so genau genommen hat, ist James Erskines Dokumentarfilm mit dem schlichten Titel „Billie“ ein sehenswerter Film über eine außergewöhnliche Künstlerin.
Der britische Regisseur konnte auf rund 200 Stunden Interviewmaterial zurückgreifen, die die amerikanischen Journalistin Linda Lipnack Kuehl in den 1970ern mit Musikern wie Charles Mingus oder Count Basie, Vertrauten, Liebhabern, Zuhältern und FBI-Agenten führte. Ihr Ziel war es, nach diversen Biografien voller Unwahrheiten, Gerüchten und Weglassungen ein umfassendes Bild von Bille Holiday zu zeichnen. Doch es kam nicht dazu. 1978 nahm sich die Journalistin das Leben.


Mit einzigartigen Konzertmitschnitten ihres melancholischen „improvisierten Horns“, Fotografien und Ausschnitten aus Filmen und TV-Beiträgen fügen sich diese Tonbänder zu einem vielstimmigen Bild zwischen Erfolgen in der New Yorker Carnegie Hall, Demütigungen in der Kindheit, Gewalt von Lovern sowie Freiern und steten Drogen-Exzessen. „She sang the truth. She paid the prize“, heißt es im Untertitel des Films. Also: Sie sang die Wahrheit und bezahlte den Preis dafür. Ganz klar: Erskine interessierte sich nicht nur für ihre unvergleichliche Stimme, sondern für ihren rebellischen Geist. Billie sei, so der Regisseur, „die Geschichte eines Genies, einer Frau, die sich vehement gegen diejenigen Menschen zur Wehr setzte, die sie vernichten wollten“. Sie kämpfte wie ein Stehaufweibchen gegen Rassismus, Diskriminierung, Geschlechterrollen und für ihre künstlerische Unabhängigkeit. In diesem Punkt widersetzte sie sich allen Widrigkeiten zum Trotz mit aller Leidenschaft, am Leben in ihrem Tempo scheiterte sie.


Das Zeitdokument berichtet, wie sie sich ihr Gesicht auf einer Tour mit Count Basie durch die Südstaaten dunkler schminken sollte, Konzerthäuser durch die Küche betreten oder im Tourbus nächtigen musste, weil das Hotel keine Afroamerikaner aufnahm. Es sind erschütternde Szenen, die davon zeugen, wie sie trotz ihres Ruhms diffamiert wurde.
Und dennoch: So beglückend unheimlich nah war man Billie Holiday noch nie.