ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND

Bewertung: ****

Wer nie in den Nullerjahren eine durchzechte und von Musik durchseuchte Nacht in den Lokalen am Wiener Gürtel erlebt hat, hat definitiv etwas versäumt. Dort sind auch die Protagonistinnen und Protagonisten im aufregend-fiebrigen Indiefilm „Another Coin for the Merry-Go-Round“ daheim. Der gebürtige Kärntner Filmemacher Hannes Starz legt mit seinem Regiedebüt ein atmosphärisch dichtes, aber unsanftes Coming-of-Age-Drama vor, das gleichzeitig als Hommage an den Wiener Underground, als Ode an die Freundschaft und als covidbedingt verstärkte Liebeserklärung an die Beisl-, Konzert-, Sub-, Klub-, Proberaum- und Tschocherlkultur funktioniert.
Im Zentrum des Films stehen die vier Endzwanziger Anna, Niko, Ilas und Jools, die sich vor dem Verlust einer Ära – ihrer Jugend – fürchten. Sie hoffen vergebens auf einen Durchbruch mit ihrer Band „Black Candy“, ohne ihre Instrumente zu beherrschen. Auf der Ringelspielfahrt ihres Lebens malen sie sich aus, dass alles ewig so weitergeht. Alkohol und Drogen sind bei der Realitätsverweigerung sehr behilflich. „Viele sagen, dass die Kindheit die schönste Zeit im Leben ist. Ich mochte diesen Gedanken, verkroch mich darin, hielt daran fest“, hört man Annas (Valerie Pachner) Stimme aus dem Off. Ein Suizidversuch von Niko (David Öllerer), der deswegen im Rollstuhl landet, schockiert zunächst, gibt ihr aber keinen Anlass, das Leben umzukrempeln. Immer schön weiterdrehen, bitte!
Pachner („Ein verborgenes Leben“), längst auf dem Sprung nach Hollywood, veredelt diesen Film mit ihrer unbedingten Sehnsucht, an den Jugendtagen festzuhalten. An ihrer Seite stellt sich David Öllerer, besser bekannt als Musiker Voodoo Jürgens, als feinnervig-introvertierter Schauspieler vor. Komplettiert wird die interessant besetzte Viererbande mit Tinka Fürst, die man als KTU-Beamtin aus dem Kölner „Tatort“ kennen könnte, und dem Musiker Max Bogner.
Der Do-it-yourself-Underground wird mit großer Authentizität und ausschließlich natürlichen Lichtquellen und extrem langen Takes ins Bild gerückt (Kamera: Marianne A. Borowiec). In nur acht Tagen gedreht, entwickelt dieser kleine Film einen übergroßen Sog. Man fühlt sich eingelullt von einem Gefühl der Unbesiegbarkeit.
Eingebettet ist das eigenwillige Werk in einen Musiknebel von Butbul und Alicia Edelweiss sowie Referenzen an Elliott Smith oder Daniel Johnston. Und die eine oder andere eigene Erinnerung drängt sich beim Zuschauen vor. (js)

MARKO FEINGOLD - EIN JÜDISCHES LEBEN

Bewertung: ****

„Ich bin heute 105 Jahre alt und immer noch am Leben, obwohl ich in meinem Leben schon viele Male gestorben bin.“ Der erste Satz, den Marko Feingold (1913-2019) in diesem österreichischen Dokumentarfilm von Christian Krönes, Florian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer („Ein deutsches Leben“, 2016) sagt, führt mitten in eine Geschichte, die so persönlich wie exemplarisch ist. Der KZ-Überlebende, der über 70 Jahre unermüdlich Vorträge über den Holocaust und sein Leben in der Nazizeit hielt, wird dabei kaum laut. Zurückhaltend bleibt auch die Inszenierung. Feingold, vor schwarzem Hintergrund, blickt den Zuseher an. Auf Filmmusik und Farbe wird verzichtet. Die Form dient der Fokussierung auf den Inhalt, das Gesagte steht im Mittelpunkt. Unterbrochen werden die Sätze Feingolds durch (Hass-)Briefe, die er bis ins hohe Alter bekam, und durch Propagandafilme der Deutschen und Amerikaner, die die Erzählung assoziativ erweitern. Die Vorgeschichte des Krieges, die gesellschaftlichen Gegebenheiten, die vieles, was später kommen sollte, bewirkten, stehen im Mittelpunkt. Feingolds sechs Jahre in unterschiedlichen Konzentrationslagern nehmen einen quantitativ kleinen, aber um so eindringlicheren Teil ein.
Bald wird kein Zeuge dieser dunklen Zeit mehr hier sein. Aber dieser Film hält die Geschichte am Leben. Das ist nicht angenehm, aber wichtig. (cz)

A BLACK JESUS

Bewertung: ***

Vier junge Männer aus Ghana können es nicht glauben, als sie im sizilianischen Dorf Siculiana vor einer Heiligenfigur stehen: Jesus ist ein Schwarzer in Europa? Der italienische Filmemacher Luca Lucchesi beleuchtet in der Doku „A Black Jesus“ ein Kuriosum seines Heimatdorfes: Einerseits verehren die Menschen die schwarze Jesus-Statue aus Holz, die sie am 3. Mai bei einer Prozession durch den Ort tragen, andererseits reagieren sie ablehnend auf Flüchtlinge. Was passiert, wenn diese das Kruzifix tragen wollen – als Zeichen des Ankommens? Lucchesi fungiert als Beobachter, während die Kamera mitunter pathetisch über den Protagonisten schwebt. Ein Film über Spaltung und Gleichgültigkeit.

KEINE ZEIT ZU STERBEN

Bewertung: ****

We have all the time in the world“ singt Louis Armstrong im Abspann dieses James-Bond- Films, angeblich das drittbeliebteste Hochzeitslied aller Zeiten. Und nein, wir befinden uns nicht wieder im Jahr 1969 mit George Lazenby „On Her Majesty’s Secret Service“. Der 25. Jubiläums-007 „Keine Zeit zu sterben“ feiert mit diesem Bond-Song den Abschied von der Ära Daniel Craig. Auch seine Kulturfigur wird noch vor der klassischen Titelsequenz von der Vergangenheit eingeholt. Im wohlverdienten Ruhestand im touristisch-malerischen Italien stören Bond nicht nur bewaffnete Kämpfer. Auch die Beziehungsidylle mit Freundin Madeleine Swann bekommt einen Riss. Nicht Pech, sondern schlechtes Urteilsvermögen sei das, meint James selbstkritisch.
Im Grunde dreht sich der langersehnte „Bond“-Film eher um Madeleine als um ihren James. Ihr gehört die winterliche Rückblende als Einstiegszene des Films, ihre Geheimnisse geben den Takt des Verwirrspiels an, gegen das der Geheimagent über 163 Filmminuten an mehreren Fronten ankämpft – mit Christoph Waltz als altem und Rami Malek als neuem Bösewicht. Die Story ist ein Familiendrama mit ungewöhnlich vielen Toten, nicht nur unter den namenlosen Fußsoldaten. Auch wenn die Intrigen im Eifer der vielen Gefechte nicht wirklich aufgelöst werden, geben sie dem Film doch Spannung und stimulierendes Tempo.
Rhythmisch findet Regisseur Cary Joji Fukunaga den passenden Mix zwischen souveränen Action-Sequenzen und einigen (Wieder-)Begegnungen samt mehr oder weniger pathetischen Wortwechseln. Dabei gibt es auffällig stylishe Verfolgungsjagden für die Kfz-Sponsoren sowie Sets, die in Jamaika und Kuba leider etwas austauschbar in Szene gesetzt sind. Der überlange Showdown geht in einem unterirdischen Bunker auf einer abgelegenen Insel über die Bühne. Ohne den Nostalgie-Faktor zu übertreiben, ist James Bond dort wohl zu Hause angekommen: Weltrettung mit Hosenträger-Outfit und Gadget-Uhr. Ob das Ziel der Produktionsfirma aufgeht, „007“ in ein modernes Franchise zu transformieren, wird sich mit neuer Besetzung weisen. Craig hat sich gebührend verabschiedet. (mw)