Disney gewinnt den Goldenen Löwen für „Nomadland“. Zumindest durfte der Italien-Chef des Mutterkonzerns der Produktionsfirma am Samstag im Palazzo del Cinema die Trophäe entgegennehmen, in einem Krisenjahr mit sehr reduzierter US-Präsenz am Lido.

Regisseurin Chloé Zhao und Hauptdarstellerin Frances McDormand schickten eine Videobotschaft aus dem Wohnmobil, das die Hauptfigur des Films durch die Weiten Amerikas steuert. Die zweifache Oscar-Gewinnerin McDormand beweist darin nicht nur ungeheures Feingefühl vor der Kamera. Sie hat die Sachbuch-Verfilmung auch produziert und die junge Regisseurin mit an Bord geholt.

Es ist erst das fünfte Mal in der 77-jährigen Festivalgeschichte, dass der Hauptpreis an eine Frau geht. Nun wird, nach „Joker“ im vergangenen Jahr, erneut ein amerikanischer Venedig-Gewinner zum Oscar-Favoriten. Der Film ist ein außerordentlich kraftvoller Abgesang auf den Amerikanischen Traum. Hauptfigur Fern ist nach dem Tod ihres Mannes zur Nomadin geworden. Die Bergarbeiter-Siedlung, in der sie lebten, gibt es nach der großen Wirtschaftskrise von 2008 nicht mehr. Fern schlägt sich mit Kurzzeit-Jobs durch, etwa in einer Amazon-Fabrik in der Weihnachtszeit. Dort lernt sie andere Wirtschafts-Nomaden im Pensionsalter kennen, die ihr Leben auf die Straße verlagert haben.

Im Film wird Fern mit den amerikanischen Planwagen-Pionieren verglichen. Doch in ihrer Gegenwart ist alle Utopie verloren und es gibt kein gelobtes Land im Westen, das es zu erobern gilt. Nur die Natur abseits der Straße mit Mammutbäumen, Flüssen und  felsigen Badlands gibt Ferns episodischer Geschichte immer wieder eine zärtliche Stimmung.

„Nomadland“ ist ein zutiefst amerikanischer Film einer Regisseurin, die in China geboren ist und ihre Ausbildung in den USA erhielt. Das erstaunlichste an diesem US-Film ist ihre Arbeit mit Laiendarstellern, denen McDormands Figur auf ihrer Reise begegnet. Sie geben dem Film eine authentische Intensität. Würdevoll und tieftraurig zeigt „Nomadland“ ein Amerika, das seine beste Zeit hinter sich hat. Von Filmemacherin Chloé Zhao dagegen darf man noch viel erwarten.