Il Traditore

Bewertung: ****

Es ist die Mutter aller Mafiafilme: Francis Ford Coppolas „Der Pate“ aus dem Jahr 1972. Zunächst von der Cosa Nostra verhindert, wurden die Dreharbeiten von dieser kofinanziert und kontrolliert. Bis heute findet man in den Bars von Corleone Fotos von Marlon Brando und Al Pacino. Alle Mafiosi wollten so sein wie sie, und in den Verstecken sicherte die Polizei nebst Drogen und Waffen oftmals VHS-Kassetten. Die Glorifizierung und Verklärung der Bosse in Romanen, Filmen und Serien wie in „Gomorrha“, „Der Boss der Bosse“ oder „Clan der Kinder“ kritisieren Anti-Mafia-Anwälte seit jeher.

Der italienische Altmeister Marco Bellocchio geht in seinem neuen Epos „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Mafia“ einen anderen Weg. Er verweigert sich der Mythosbildung und erzählt den realen Fall von Tommaso Buscetta. Dieser ist als Kronzeuge dafür verantwortlich, dass in den 1980ern 360 Angeklagte verurteilt wurden. Im legendären Prozess im Gerichtsbunker in Palermo wird die Mafia erstmals als das sichtbar gemacht, was sie ist: eine brutale Organisation voller ordinärer Verbrechen und unehrenhafter Männer.

Bellocchio porträtiert den titelgebenden Verräter als Mann voller Widersprüche, als „Boss in zwei Welten“, als Frauenheld und Familienmensch und einen, der keine Reue zeigte, sondern aus dem Gefängnis in Italien floh und in Brasilien sein Gangsterleben fortsetzte. Bis er an den Mafia-Jäger Giovanni Falcone (ermordet 1992) ausgeliefert wird, bei dem er zu „singen“ beginnt. Pierfrancesco Favino brilliert als bulliger, sentimentaler und eitler Kronzeuge, der, obwohl er nach dem Prozess stets um sein Leben fürchten muss, friedlich in seinem Bett stirbt. Ein später zweiter Schlag gegen die Cosa Nostra.

Autorin: Julia Schafferhofer

The Roads not taken - Wege des Lebens

Bewertung: **

Leo (Javier Bardem) liegt regungslos im Bett, es klingelt an der Tür, draußen rattert die U-Bahn vorbei. Er bleibt liegen, während seine Tochter Molly (Elle Fanning) fast durchdreht. Dass er sich in New York befindet, erkennt er nicht. Er hat Demenz. Und verirrt sich in seinem Kopf in seiner Biografie, den titelgebenden Wegen, die er genommen – und ausgelassen hat. Fragmentarisch führt die feministische Filmemacherin Sally Potter („The Party“) ihr Publikum an die schicksalsgebeutelte Story von Leo heran – vom Verlust eines Kindes und der großen Liebe in Mexiko, seiner Flucht nach Griechenland bis zur Jetztzeit in New York. Selbst die Starriege vermag dem unentschlossenen Plot nicht aus seinen Irrungen zu helfen. Schade.

Autorin: Julia Schafferhofer

I Still Believe - Mit Gottes Hilfe

Bewertung: ***

Die Regie-Brüder Andrew und Jon Erwin („I Can Only Imagine“) rücken in ihrem spirituellen Drama die Lebensgeschichte eines Superstars der christlichen Pop- und Rockmusik in den Kamerafokus: Jeremy Camp (K.J. Apa). Im Zentrum des Biopics steht die Liebesbeziehung des Künstlers zu seiner späteren Ehefrau Melissa (Britt Robertson). Gleich am ersten Tag am College funkt es während eines Campus-Konzerts zwischen den beiden. Obwohl Melissa zu diesem Zeitpunkt noch mit Jeremys Mentor Jean-Luc (Nathan Parsons) zusammen ist, werden die beiden ein Paar. Doch die unbeschwerte Zweisamkeit findet ein rasches Ende: Melissa erhält eine schockierende Krebsdiagnose. Jeremy, der sich mittlerweile einen Namen als Nachwuchsmusiker gemacht hat, hofft, dass sein Glaube und die Gebete seiner Fans ein Wunder bewirken können. Das Finale der dramaturgischen Berg- und Talfahrt löst aufgrund des True-Story-Faktors Taschentuch-Alarm aus!

Autor: Jürgen Belko

Ausgrissn! In der Lederhosn nach Las Vegas

Bewertung: **

Im Sommer 2020 heißt es "Reisen im Kopf oder im Kino". Heuer hätte der Amerika-Trip der Brüdern Julian & Thomas Wittmann ganz anders ausgesehen. 2018 konnten die beiden mit ihren Mopeds noch sorglos nach Las Vegas tuckern. Im Gepäck ordentlich viel bayrisches Lokalkolorit. „Ausgrissn! In der Lederhosn nach Las Vegas“ ist eine Reisedoku. Das Genre lieferte in den letzten Jahren schon allzu oft Fernweh-Fremde ins heimische Kinowohnzimmer. In „Ausgrissn!“ steckt jedoch mindestens genauso viel Spielfilm, was das Versprechen authentischer Erfahrung trotz etwas Selbstironie problematisch unecht macht. Das dreiköpfige Filmteam, das perfekte Bilder und Ton liefert, bleibt unsichtbar. Gut gescriptete überraschende Story-Erlebnisse gibt’s trotz einiger Ami-Begegnungen andererseits auch zu wenig. So erzählt der Filmtrip durch die USA am Ende mehr vom Heimweh nach Bayern, wo die Welt noch in Ordnung ist, mit Bayrisch-Hell statt Corona und anderen Trump-Figuren.

Autor: Marian Wilhelm