Es ist ein Novum: Seit Kurzem läuft mit dem Musikmärchen „The High Note“ hierzulande ein Film in den Kinos, der gleichzeitig auch als Video-on-Demand auf diversen Streamingplattformen zum Leihpreis von 14,99 Euro startete. Darin verkörpert Dakota Johnson die Assistentin eines Stars, die sich zur Produzentin hochjazzen will. Dazu: eine Lovestory und ein Happy End. Ein solches ist in der krisengebeutelten Kinobranche vorerst nicht zu erwarten. Covid-19, wochenlang geschlossene Lichtspielhäuser und die unberechenbare Zukunft verschärften die Problemzonen. Zudem waren Streamingdienste weltweit die logischen Gewinner des Lockdowns.

Nun wurde mit einer ewigen Hollywood-Tradition gebrochen – dem sogenannten Kinofenster. Das bezeichnet den Zeitraum zwischen dem Leinwandeinsatz eines Filmes und der Veröffentlichung auf DVD, Blu-Ray, als Video-on-Demand und via Streamingdiensten und beträgt in der Regel vier Monate.


Universal Pictures, einer der Branchenriesen, brachte den knallbunten Animationsfilm „Trolls World Tour“ während der Pandemie gleich online heraus. Jeff Shell vom Mutterkonzern NBC Universal ließ daraufhin im „Wall Street Journal“ aufhorchen, als er nach 100 Millionen US-Dollar nach wenigen Wochen einen generellen Strategiewechsel ankündigte.
In Zukunft könnte es also sein, dass einige Filme zweigleisig anlaufen (wie Judd Apatows „The King of Staten Island“ ab Ende Juli), andere nur online, andere wiederum zuerst im Kino. Dort, wo die Kassen immer noch am besten klingeln und wo einem Film mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als in der wöchentlichen Flut der Neuerscheinungen von Netflix, Amazon, Disney+, Sky und Co.


Andere Verleiher gehen andere Wege und setzen angesichts der unsicheren Lage in den USA auf Verkauf: Für angebliche 70 Millionen Euro stieß Sony Pictures „Greyhound“ mit Tom Hanks ab. Statt im Kino startet das Kriegsdrama nun ab Freitag auf Apple TV+. Es breche ihm das Herz, dass der Film, an dem er auch als Produzent und Drehbuchautor beteiligt war, nicht im Kino aufgeführt werde, sagte Hanks. Dieser sei für die große Leinwand bestimmt. „Ich möchte meine Apple-Lehensherren zwar nicht verärgern, aber es gibt einen großen Unterschied bezüglich der Bild- und Tonqualität“, erklärte Hanks im „Guardian“. Ganz zu schweigen vom Kinoerlebnis, das „nicht zu ersetzen“ sei.


Was bedeutet das für die Zukunft des Kinos? Wagen wir einen Blick auf Disney. Seit März hat der Riesenkonzern einen eigenen Streamingdienst, in dem er einige seiner kleineren Filme direkt startete – wie demnächst Kenneth Branaghs Jugendbuchverfilmung „Artemis Fowl“ oder den Animationsfilm „Der einzig wahre Ivan“. Mit seinen Blockbustern wie „Mulan“ wartet Disney einen Kinostart ab, auch wenn dieser zuletzt mehrmals verschoben wurde. Aktuell soll die 200-Millionen-Dollar-Realverfilmung des Animations-Hits am 20. August starten. Auch Christopher Nolans Agententhriller „Tenet“ (ab 12. August im Kino) mit John David Washington und Robert Pattinson soll im Sommer noch auf die Leinwand kommen – dafür setzte sich der Regisseur ein.


In normalen Zeiten würden beide Filme Milliardengewinne einspielen und damit auch für die spätere digitale Verwertung attraktiver werden. Ob das auch für 2020 gilt, ist unklar. Die gute Nachricht lautet aber: Noch nie warteten so viele fertige Filme auf ihren Einsatz fürs Publikum. Der Herbst könnte also kraftvoll werden. Zumindest filmtechnisch.