Bewertung: ★★★★★

"Is it just me or is it getting crazier out there?" („Bilde ich mir das ein oder wird die Welt immer verrückter?) Das fragt sich zu Anfang des viel diskutierten Films der Protagonist Arthur Fleck alias Joker. Er ist ein echter Antiheld, der als bemitleidenswert weißer Clown beginnt und als gefährlicher Mörder endet.

Joaquin Phoenix spielt ihn phänomenal körperlich, in sich zurückgezogen und mit unheimlichen Tourette-Lachausbrüchen. Wenn Arthur auf der Straße verprügelt wird, ist das nur die Ouvertüre der Erniedrigung, die sich im Verlauf der 122 Filmminuten unerbittlich steigert, begleitet vom wuchtig-düsteren Streicher-Soundtrack der Isländerin Hildur Gunadóttir.

„Joker“ ist in Wahrheit ein tragisches Charakter-Drama auf den stilistisch-charakterlichen Spuren von Martin Scorseses „Taxi Driver“ und „King of Comedy“ – die dortigen Protagonisten Travis Bickle und Rupert Pupkin vereinen sich hier zum Joker. Robert DeNiro selbst (der beide Figuren spielte) ist nun als Talkshow-Host und Arthurs Fantasie-Vaterersatz dabei.Die Stadt des Jokers, Gotham City, ist das dreckige New York der frühen 80er, als Donald Trump gerade mit seinem Tower auf der Bildfläche erschien. Im Film taucht dann auch als sein warnendes Spiegelbild der Millionär Thomas Wayne mit populistisch-politischen Ambitionen auf.

Allen dumpfen Vorurteilen zum Trotz, die einer amerikanischen Comic-Verfilmung entgegenschlagen, liefert Todd Phillips’ „Joker“ nur nebenbei die Geschichte des Batman-Gegenspielers. Zumindest die Jury des Venedig Filmfestivals ließ sich davon nicht täuschen und verlieh ihm den diesjährigen Goldenen Löwen. Denn hinter der Genre-Maske scheint, nur wenig überschminkt, ein radikal subjektives, ebenso problematisches wie unterhaltsames Psychogramm durch. Der Joker ist am Ende pure Anarchie. Nun wissen wir auch, wieso: „Ich dachte, dass mein Leben eine Tragödie ist. Jetzt habe ich gemerkt, dass es eine Komödie ist.”