Wie eng haben Sie Ihre Kindheit und Jugend in Südtirol erlebt?Evi Romen: Wenn man in einem Land aufwächst, wo einem die Berge auf den Kopf fallen, fühlt man eine gewisse Enge und stets den Drang, nach oben zu steigen und zu schauen, was dahinter ist. Dann steht man oben und blickt in die Weite - das ist auch wieder eng. Also muss man aus den Bergen hinaus in die Welt gehen.

Thomas Prenn: Bei mir ist das ähnlich. Ich habe mir schon in der Mittelschule in den Kopf gesetzt, dass ich Schauspieler werden will. Damit war das Ziel, wegzugehen, bald klar. Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, habe ich Schauspielschulen im Internet gegoogelt und viele Bewerbungen weggeschickt. Im Nachhinein betrachtet, rührend. Denn eine Antwort habe ich nie bekommen.

Da werden sich nun einige ärgern.
Prenn: Hoffentlich.
Romen: Wie süß! Ich hatte noch kein Google, ich musste Briefe schreiben.

Wie verändert sich der Blick, wenn man die Berge hinter sich lässt, in die Großstadt geht und dann wieder für ein Filmprojekt zurückkehrt?
Romen: Es gibt so ein merkwürdiges Gefühl: das Heimweh. Ich kann es bis heute nicht definieren, wonach man sich eigentlich sehnt. Über 40 ändert sich das Zurückkommen. Das wurde mir von vielen Älteren vorausgesagt, inklusive meinem Vater, dass man wieder zurück möchte, wenn man genug von der Welt gesehen hat. Ja, wollte ich. Dann stand ich vor den Bergen, sie fielen mir auf den Kopf. Also bin ich wieder losgefahren. Um das Heimweh zu stillen, habe ich diesen intimen Film gemacht. Es ist keine Abrechnung mit einem Land, sondern ein Dankeschön und das Stillen einer Sehnsucht.

Der Film zeigt diese Flucht, das Wegfahren, in dem er ständig in Bewegung ist. Visuell verdeutlicht durch die Gondelfahrten und den ständigen Wechsel zwischen dem Oben und dem Unten.
Romen: Das einzige Autobiografische an diesem Film ist dieses Hinauf- und Hinunterfahren, das Nachhausekommen zu Weihnachten zum Beispiel und das Wieder-Wegfahren. Diese Bewegung im Film ist durchaus so, wie ich sie erlebt habe.

Kennen Sie diese Sehnsucht nach der Stadt?
Prenn: Ja. Es ist auch eine Sehnsucht nach einem Ort, an dem man sich verstanden fühlt. Hinzu kommen die Neugierde und die Lust, hinauszugehen. Ich bin von Südtirol nach Berlin gegangen, war noch in der Schauspielschule. Evi hat mich nach Österreich geholt. In „Hochwald“ hatte ich meine erste Kino-Hauptrolle.

Diesem Mario passiert recht viel: Er verliebt sich, er trauert, er sehnt sich fort, taumelt im Leben. Es geht um Drogensucht, Islam und vieles mehr. Waren diese vielen Themen von Anfang an klar?
Romen: Ja, es handelt sich um keine klassische Spielfilmgeschichte, sondern um ein Porträt eines jungen Menschen. Ich glaube, in jedem von uns sind sehr viele Themen gleichzeitig vorhanden. Die Chance, in einem Porträt so viele Themen streifen zu können, war natürlich verführerisch.

Wie kamen Sie auf Thomas Prenn, der für die Rolle mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet wurde?
Romen: Geschrieben habe ich ursprünglich eine etwas exaltiertere Figur. Jemanden, der ausbricht, der auffällt, dem aber in der ersten Fassung etwas an Wärme und Zartheit gefehlt hat. Als Thomas vor mir saß, dachte ich mir: ‚Okay, er ist sehr schüchtern, introvertiert, frisch von der Schauspielschule.“ Aber dann erzählte er mir, dass er als Jugendlicher bei den Perchten war. In der Sekunde habe ich mir gedacht: „Moment!“ Das heißt, es muss eine ganz wilde Seite geben. Sich als Percht zu gebärden, ist mehr als exaltiert. Ich wusste, dass ist mein Mann.

Es gibt sehr viele Tanzszenen, waren die besonders herausfordernd?
Prenn: Was herausfordernd war, ist, dass ich mich traute, etwas preiszugeben,  aus mir kommen zu lassen. Da war ich panischer als Evi. Ich habe für mich geübt, Videos gemacht und ihr diese geschickt, damit sie am Set nicht enttäuscht ist.
Romen: Ich weiß bis heute nicht, ob dieser Mario ein talentierter Tänzer ist oder nicht. Genau in diesem Schwebezustand wollte ich den Dreh halten.

Ist der Schwebezustand nicht insgesamt eine gute Beschreibung für die Stimmung im Film?
Romen: Ja, tatsächlich ist jedes Thema und jede Bewegung in dem Film schwebend. Was am meisten schwebt und am wenigsten festzumachen ist, ist die Sexualität. Es wird immer wieder versucht, festzunageln, ob das ein Gay-Film ist. Das war nie die Absicht. Es sollte immer ein Zwischenzustand für die Probleme der Leute sein. Wie eine Seilbahn, die von oben nach unten fährt. Oder umgekehrt.

„Hochwald“ ist Ihr mehrfach preisgekröntes Regiedebüt. Werden Sie wieder auf dem Regiestuhl Platz nehmen?
Romen: Ja, erstaunlicherweise habe ich Blut geleckt. So sehr ich meinen eigentlichen Beruf als Editorin liebe, bleibe ich dran. Es gibt ein Folgeprojekt, „Happyland“, das befindet sich gerade in der Stoffentwicklung.