Kein roter Teppich, kein Drängeln, keine großen oder zu kleinen Roben, keine politischen oder geschwollenen Reden von Schauspielenden und Filmemachenden. Überhaupt: keine vor Ort anwesende Stars, wie wir das von der Berlinale normalerweise kennen. Keine Frage: Die Not-Festivalausgabe 2021 wird anders. 2020 endete das Berliner Filmfestival am 1. März, das 70. übrigens, mit keinem einzigen Corona-Fall - es war das letzte große analoge Kinofest vor der Pandemie. Aber: Viele der damals ausgezeichneten Werke haben es bis heute nicht auf die große Leinwand geschafft.

In einem leeren Kino präsentierte das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian das zweigeteilte Programm ihres Festivals. Ein Statement in Zeiten des kulturellen Dauer-Lockdowns. Von 1. bis 5. März lädt das Festival nun zu einem digitalen Kinomarkt für Jury, Branchenvertreter und Presse. Die gute Nachricht: Der Wettbewerb findet statt. Die sechs Gewinnerinnen und Gewinner der vergangenen sechs Goldenen Bären urteilen in diesem als Jury über die Wettbewerbsfilme: Mohammad Rasoulof ("There Is No Evil"), Nadav Lapid ("Synonyms"), Adina Pintilie ("Touch Me Not"),  Ildikó Enyedi ("On Body and Soul"), Gianfranco Rosi ("Fire as Sea") sowie Jasmila Žbanić, die mit ihrem Drama "Quo Vadis, Aida", einer österreichischen Koproduktion, auf der Shortlist für die Oscarverleihung steht. Von 9. bis 20. Juni sollen dann u.a. die Siegerfilme groß gefeiert werden: vor Publikum und in den Kinos der Stadt. Auch Open-Air-Filmvorführungen sind geplant. Man wolle, so die Chefs, "Flagge fürs Kino" zeigen.

Im Festival-Jahreskalender kommt der Berlinale seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle zu. Normalerweise rund um die Oscarverleihung eingebettet, nimmt das Festivaljahr und mit ihm das Weltkino von Berlin aus saisonale Fahrt auf. Hollywood hingegen war schon in den letzten Jahren nicht besonders präsent in Berlin und der Wettbewerb kommt auch 2021 ohne US-Beitrag aus. Einzig die sonst populäre Nebenschiene Berlinale Special protzt mit Glamour: In der schwarzen Komödie "French Exit" von Azazel Jacobs ist Michelle Pfeiffer zu sehen und im Guantanamo-Thriller "The Mauritanian" wirken die Hollywoodstars Jodie Foster und Benedict Cumbercatch mit.

Der Wettbewerb

Eines vorweg: an frischen Streifen mangelt es dem A-Festival in Deutschland heuer angesichts eines regelrechten Filmstaus nicht. Im komprimierten Wettbewerb laufen 15 Filme als Weltpremieren. Nebst Filmtrips in triste bis desaströse Gegenden wie nach Mexiko mit „Una Película de Policías” von Alonso Ruizpalacios, in den Libanon mit „Memory Box” von Joana Hadjithomas und Khalil Joreigei oder den Iran mit „Ballad of a White Cow” von Behtash Sanaeeha und Maryam Moqadamsss, sind mit "Introduction" vom Koreaner Hong Sangsoo und "Wheel of Fortune and Fantasy" vom Japaner Ryusuke Hamaguchi zwei Filme aus Asien vertreten. Als echter Coup gilt, dass die Französin Céline Sciamma, die mit der Lovestory "Porträt einer jungen Frau in Flammen" mit Adele Haenel in der Hauptrolle für Furore sorgte und damit auch die Viennale 2019 eröffnete, ihren neuen Film  "Petite Maman" in Berlin zeigt. Für Aufsehen könnte "Bad Luck Banging or Loony Porngen" vom rumänischen Regisseur  Radu Judeen sorgen, der die Geschichte einer Lehrerin erzählt, deren Sexvideo viral geht.

Und daneben ist das deutsche Kino heuer nahezu omnipräsent im Wettbewerb vertreten: Während Dominik Grafs neuer Streifen, die Verfilmung der Kästner-Autobiografie "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" mit Tom Schilling schon lange als Fixstarter galt, stellt sich Schauspieler Daniel Brühl ("Rush Hour") mit dem Eckkneipen-Kammerspiel "Nebenan" als Regisseur vor. Mit Spannung erwartet werden auch die neuen Filme von Schauspielerin und Filmemacherin Maria Schrader ("Ich bin dein Mensch") und Maria Speth ("Herr Bachmann und seine Klasse").

Aus Österreich ist heuer kein Film im Wettbewerb vertreten. Im "Forum Expanded" immerhin ist der knapp 50-minütige Film "Night for Day" von Emily Wardill zu sehen, den diese für ihre Ausstellung in der Wiener Secession gedreht hatte. Und: David Schalkos neue Serie für Sky "Ich und die Anderen" mit Tom Schilling, Lars Eidinger und Mavie Hörbiger wird in Berlin präsentiert.

Am 5. März werden die Gewinnerinnen und Gewinner bekannt gegeben, gefeiert werden sie dann im Juni. Hoffentlich ohne Bildschirm dazwischen.

Wie die anderen Festivals im Frühjahr reagieren

Das nächste A-Festival nach der Berlinale, wäre jenes von Cannes. 2020 aus bekannten Gründen ausgefallen, wartet die heurige Ausgabe wahrscheinlich mit Filmen von Terrence Malick, Wes Anderson, Paul Verhoeven. Joanna Hogg und Mia Hansen-Løve nun geplanterweise im Juli auf das Ausrollen der roten Teppiche.

Dem heimischen Filmfestival-Jahr darf man optimistischer entgegenblicken: Heute startet das Cinema Talks Festival. Bis 28. Februar sind internationale Kurzfilme, Dokus und Animationsarbeiten von jungen Filmeschaffenden kostenlos zu sehen unter der Adresse streams.cinema-talks.com
Die 20. Ausgabe des internationalen Animationsfilmfestivals Tricky Women findet nun von 10. bis 14. März digital statt – mitsamt Rahmenprogramm. Wer im Besitz einer Karte ist, kann die Filme zu je 48 Stunden schauen. trickywomen.at
Ab 1. April geht indes eine neue Plattform online, die Kurzfilmfestivals wie das internationale Vienna Shorts bündelt und Online-Wettbewerb unter der Webseite thisisshort.com zeigt.
Die großen Frühjahrsfestivals hierzulande hoffen auf eine analoge Ausgabe und haben ihren Termin um wenige Wochen nach hinten verschoben: Das Festival Crossing Europe, das das zeitgenössische, gesellschaftspolitische europäische Kino traditionell im April nach Linz holt, geht nun von 1. bis 6. Juni über die Bühne. Und widmet dem aus de Slowakei stammenden Regisseur und Produzenten Ivan Ostrochovsky das Tribute. Auch dessen neuester Film „Servants“ ist nach der Weltpremiere auf der Berlinale erstmals in Österreich zu sehen zu sehen.
Die Diagonale hat sich, wie berichtet, ebenso für einen späteren Termin entschieden. Das Festival des österreichischen Films geht von 8. bis 13. Juni in Graz über die Bühne und eröffnet mit Aran T. Riahias Gefängnisdrama „Fuchs im Bau“, das bislang auf eine erfolgreiche Festivallaufbahn zurückblicken kann. Im Vorjahr abgesagt, sind 2021 noch viele Preise zu übergeben.