In Deutschland öffnen die Theater ziemlich sicher erst nach Ostern, Klagenfurt spielt erst ab Mitte April: Muss man diese Saison quasi schon aufgeben?
BERNHARD RINNER: Noch ist nicht aller Tage Abend, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass sich vor Ostern nicht mehr viel rühren wird. Auch nach der letzten Regierungs-Pressekonferenz weisen alle Indizien darauf hin, dass es keine rasche Öffnung der Theater gibt. Wir hoffen, dass wir im Frühjahr noch zeigen können, mit welcher Kreativität das Theater auch in Zeiten der Krise agieren kann, und wollen das mit tiefer Inbrunst und Überzeugungskraft für unsere Kunst tun. Aber man muss davon ausgehen, dass es nur mehr einzelne Aktionen sein werden.

Sie haben jüngst die Bilanz der letzten Saison vorgelegt, mit Einnahmenverlusten um die 40 Prozent. Wie wirkt sich das aus? Müssen Sie die Planung für die nächsten Saisonen aus Kostengründen beschränken?
RINNER: Wir sind am Rechnen, weil wir annehmen, dass sich die Situation noch verschärft, unter Umständen ins Doppelte. Solche Erlösrückgänge sind ein Krisenszenario, auch weil darüber das Damoklesschwert der Personalkosten und damit eines möglichen Personalabbaus schwebt. Davor sind wir Gott sei Dank durch Kurzarbeit abgesichert, wenngleich auch die für Probleme sorgt.

Inwiefern denn?
RINNER: Selbst in Anstellungsverhältnissen ist die psychische Belastung hoch. Wir vermerken in unserem Coaching-Angebot für alle MitarbeiterInnen einen Raketenanstieg. Eine nicht personalisierte Abfrage hat 90 Prozent indifferente Angstzustände erhoben. Abgesehen davon, dass man sich fragen muss, wie es dann erst jenen ohne eine solche wirtschaftliche Absicherung geht, zeigt das: Auch das institutionalisierte Theater ist kein paradiesischer Ort. Viele stellen sich die Sinnfrage.

Was beschäftigt den Manager sonst im spielfreien Raum?
RINNER: Wir analysieren die Zahlen und erstellen neue Forecasts je nach Lockdown-Verlängerung. Derzeit geht es darum, wie sich der Spielplan mit einer Wiederaufnahme des Spielbetriebs ab 1. März, ab 1. April oder gar erst ab Juni gestalten könnte. All das hat Auswirkungen auf die wirtschaftliche Prognose und in Konsequenz auf die Arbeitsplatzfrage. Und ich bin in Lobbytätigkeit geswitcht. Sie dient der Meinungsbildung und der Überzeugungsarbeit, dass weitere Lockdowns eine massive Einschränkung des künstlerischen Potenzials und damit der gesellschaftspolitischen Diskussion im Land bewirken.

Sie konferieren als Generalsekretär des Bundesländertheater-Verbands mit der Kollegenschaft und der Regierung. Wie ist denn da die Stimmung?
RINNER: Kindergeburtstag am Ponyhof ist das keiner. Da sitzen sich in Überzahl männliche Einzelspieler und Individualisten gegenüber, die sich in Zeiten der Pandemie zusammentun müssen, um das Beste für die Theater zu erreichen.

Und? Werden sie gehört?
RINNER: Die gute Nachricht: Da hat sich massiv was getan. Da gab es etwa einen Quantensprung in der Abstimmung untereinander – das muss die Kunst ja erst lernen, dass man hier nicht als Einzelkämpfer, sondern gemeinsam mehr erreicht.

Wo zum Beispiel?
RINNER: Etwa, indem man Demarkationslinien aufzeigt und sagt, was definitiv nicht gehen kann. Dass man auf dem Rücken der Theater die gesellschaftlichen Risse wie unterm Brennglas darstellt, ist so nicht zumutbar – vom Contact Tracing bis zum Testen. Darf ein Theater überhaupt personalisierte Tickets ausstellen? Ist eine solche Vorgangsweise DSGVO-konform? Die Wahrheit ist: Vieles davon ist jetzt State of the Art. Dafür sind die Theater nun imstande, sich auf konkrete Forderungen zu einigen – etwa, dass es keine absoluten Obergrenzen bei Publikumszahlen geben darf. Da wurden ja Zahlen wie 500 oder, horribile dictu, 150 genannt.

Ist das nicht ein Vernunftgebot?
RINNER: Das ist ein No-Go. Sowohl wirtschaftlich als auch inhaltlich – vor dem Hintergrund, dass Kunst seit Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ nicht mehr dem Adel vorbehalten, sondern für alle zugänglich ist. Mir fehlt jedes Verständnis dafür, diese Errungenschaft aufzugeben und im Angesicht der Pandemie eine größere Selektion als je zuvor zu betreiben. Abgesehen davon wäre eine solche Beschränkung eine weitere Zumutung für die Theater, deren Publikum nun schon nicht nur eine Eintrittskarte kaufen, sondern auch einen Test vorweisen muss. Und diese Zumutungen werden in der Impfung gipfeln.

Ein nicht nur im Kulturbetrieb umstrittenes Thema.
RINNER: Ohne Impfung kein Theater! Diese Diskussion werden wir über uns ergehen lassen müssen. Da wird es keine Alternative geben, wenngleich das zu einer Zerreißprobe im Hinblick auf die Zuschauer, aber auch intern führen wird. Als wir im letzten Sommer für den „Fidelio“ auf den Kasematten probten, mussten wir einen Sänger aus dem Cast nehmen, weil er nicht bereit war, sich testen zu lassen. Alle anderen Mitwirkenden haben eingewilligt. Aber schon damals war aus dem Ensemble zu hören: Testen ist okay, aber wir werden uns nicht impfen lassen. Das beschreibt einen größeren gesellschaftlichen Riss, der auch bei der Arbeit am Theater sichtbar wird.

Was unternehmen Sie da?
RINNER: Die Lösung wird die gleiche sein wie für die Gesamtbevölkerung: Man hofft, dass sich so viele impfen lassen, dass Herdenimmunität entsteht. Vorerst werden wir uns zwischen Impfungen und Tests durchhanteln müssen, weil das Impfen – das ist meine tiefste Überzeugung – freiwillig bleiben muss. Ich werde als Dienstgeber sicher keine verpflichtende Impfung mit dem Betriebsrat vereinbaren. Und es gibt aus unseren Häusern ja auch Anfragen, ob nicht die Möglichkeit bestünde, sich früher impfen zu lassen. Das ergibt natürlich ein janusköpfiges Bild des Betriebs: Die einen wollen sofort ins Impfgeschehen integriert werden, die anderen auf keinen Fall. Da muss man Wege finden, um weiter zusammenarbeiten zu können. 

Bei allen Sorgen könnte eines Ihrer Projekte von der aktuellen Lage sogar profitieren: Das Grazer Klanglicht-Festival, das Sie gegründet haben, soll heuer räumlich entzerrt und komplett als Open Air stattfinden – wie maßgeschneidert für die Pandemie.
RINNER: Das könnte stimmen, wenn nicht unser Termin Ende April, Anfang Mai um einen Tick zu früh ist. Das ist eine Kunstveranstaltung, die die Massen anzieht, und ich weiß nicht, ob das dann schon möglich sein wird. Daher gibt es bereits einen Alternativtermin im Herbst, zwischen 26. Oktober und 1. November. Das hat zwei Vorteile: In den Schulen sind Herbstferien, und es wird früher dunkel. Für die Lichtkunst sind ja lange Tage ein Problem. Unsere KünstlerInnen sind über diese Variante auch bereits informiert. Ich bin an sich ein Anhänger der Frühjahrsausgabe von Klanglicht, weil da die Bereitschaft, den öffentlichen Raum zu erobern, größer ist. Aber ich schließe auch nicht aus, im Herbst zu bleiben, wenn wir dorthin gehen.