Sterben. Lieben. Spielen. Leben. Träumen. Kämpfen. Wer sich durch den sechsteiligen, Tausende Seiten umfassenden Romanzyklus „Min Kamp“ („Mein Kampf“) von Karl Ove Knausgård gekämpft hat, wusste am Ende bestens Bescheid: über Karl Ove Knausgård. Über seine Verwerfungen und Verkarstungen, seine Gelüste und Verluste, seine Höhen und Untiefen.

Der Kosmos Knausgård geriet zum Hype, der Autor zum Popstar, zum gefeierten Meister der exzessiven Nabel- und Narbenschau. Und wer sich treiben ließ, sich dem mäandernden Flow dieser abwechselnden Selbstgeißelung und Selbstbeweihräucherung hingab, der konnte in ein uferloses Leseerlebnis eintauchen, das einem immer wieder den Atem raubte.

Jetzt liegt auch das Romandebüt des bekennenden Egozentrikers aus dem Jahr 1998 in deutscher Übersetzung vor. „Aus der Welt“ erzählt vom jungen Aushilfslehrer Henrik, den es in den äußersten Norden Norwegens verschlägt, der dort als Außenseiter durch die kleine Community irrlichtert, der gefährlich nahen Kontakt zu einer 13 Jahre alten Schülerin sucht, Sex mit dem Mädchen hat und daraufhin fluchtartig nach Südschweden verschwindet.

All das, was man später aus seinem großen Romanzyklus kennt, ist hier bereits angelegt. Das verstörte Umkreisen des eigenen Ich, das Ausloten von Möglichkeiten und Grenzen, das rauschhafte Erzählen. „Also entsendest du eine Expedition in die Tiefe deiner selbst“, schreibt Knausgård an einer Stelle – und natürlich trägt auch diese Expedition ins Eismeer der Erinnerung wieder starke autobiografische Züge. Knausgård war Lehrer in Nordnorwegen, Knausgård verbrachte seine Jugend in Südschweden, Knausgård hatte – wie Henrik – ein schwer belastetes Verhältnis zu seinem Vater.

Im Hinblick auf den eindeutigen Missbrauch einer Minderjährigen in diesem Roman – auch wenn es „aus Liebe“ passierte – ist das natürlich nicht unproblematisch und führt auf jenes verminte Gelände, auf dem die Frage nach der Trennlinie zwischen Fiktion und Wirklichkeit lauert.

Das weiß natürlich auch Knausgård. „Der Missbrauch ist reine Erfindung“, lautet seine Stellungnahme in Interviews. Was bleibt, ist ein wortgewaltiger, aber auch gewaltig verstörender Debütroman eines Autors, der sein XXL-Ego erkundet: erbarmungslos, hemmungslos, grenzenlos, maßlos.

© KK

Buchtipp: Karl Ove Knausgård. Aus der Welt. Luchterhand, 928 Seiten,
26,80 Euro.