Er wurde begafft, gehasst, heimlich wegen seiner enormen Intelligenz bewundert oder gerade deshalb noch mehr angefeindet. Einer kleinen, halbwegs toleranten Minderheit, diente er als Symbolfigur der im Habsburgerreich zaghaft beginnenden Aufklärung; für Toleranz und Gleichberechtigung sollte er einstehen. Die große Mehrheit aber stillte an ihm ihre Schaulust, ihren Voyeurismus und ihre Fremdenfeindlichkeit.
Die tragische, letztlich auch äußerst makabre Lebensgeschichte von Mmadi Make, der mutmaßlich aus dem heutigen Nigeria stammte, als Bub von Sklavenhändlern verschleppt wurde, rund um das Jahr 1725 in Sizilien strandete, dort kirchlich getauft wurde und den Namen AngeloSoliman erhielt, ehe er als „Geschenk“ in Wien, bald danach am kaiserlichen Hof landete und dort Kammerdiener wurde, inspirierte Künstler immer wieder zu unterschiedlichsten Interpretationen. Für einen berührenden Höhepunkt sorgte Literaturnobelreisträgerin Olga Tokarczuk in ihren Reise-Essays mit dem Titel "Unrast". Zumal Soliman seine beiden perversen Beinamen über den Tod hinaus haften blieben. Er war der Wiener „Hofmohr“ oder aber der „schwarze Wilde“ aus Wien, dem nach seinem Tod eine letzteRuhestätte verwehrt blieb – er landete, stümperhaft ausgestopft und halbnackt, in einem Schaukasten im Kaiserlichen Naturalienkabinett. 1848 brannte der Schauraum ab, das Objekt der bürgerlichen Begierde wurde eingeäschert.

Die wahren Hofnarren

Solimans Schicksal ist ein reales Stationendrama, reich an autobiografischen Lücken und Mythen. Ein idealer Stoff also für den Dramatiker Felix Mitterer, seit Jahrzehnten in seinen Theaterstücken ein bedeutsamer, oft erzürnter und anklagender Fürsprecher der Außenseiter, der Randfiguren, der sozial Gestrandeten. Mit der Geschichte von Soliman, der über enormes Wissen verfügte, etliche Sprachen erlernte und rasch perfekt beherrschte, vielen der adeligen, dekadenten und zum Teil abartigen und pädophilen Würdenträgern und eigentlichen Hofnarren weit überlegen war, aber es nie über den Status einer Marionette hinaus brachte, beschäftige er sich schon seit fast drei Jahrzehnten. Vor rund 20 Jahren schrieb er ein Drehbuch, das nie filmisch umgesetzt wurde. Nun, mittlerweile 72 Jahre alt, debütiert er als Roman-Autor. „Keiner von euch“ betitelt sich das Werk, der Titel lässt sich durchaus doppeldeutig lesen. Oft genug träumte Soliman von seiner Heimkehr nach Afrika, oft genug war er den moralischen Tieffliegern weit überlegen.

Sittengemälde


Mitterer hat intensiv recherchiert, dennoch schuf er keinen bloß an Fakten orientierten Historienroman. Ganz im Gegenteil: er machte reichlich Gebrauch von dichterischen Freiheiten und fiktiven Episoden. Dennoch ist Mitterers Leidensgeschichte reich an Zeitkolorit, einem düsteren Sittengemälde gleich.
Im inneren Ringen zwischen dem Dramatiker und dem Romancier Mitterer behält aber eindeutig der Dramatiker die Oberhand. Klar erkennbar ist die Trennlinie zwischen den Guten und den Bösen, fast schablonenhaft wirken manche Figuren, denen es, zwangsläufig, auch an tieferem Seelenleben mangelt. Dominant und treffsichher sind die handfesten, oftvulgären Dialoge, die Wortduelle. So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis dem Roman ein Bühnenwerk folgt.

Clever gelöst ist der Aufbau des Buches durch den häufigen Wechsel der Perspektiven und erzählenden Figuren, das sorgt für sehr viel Tempo und jähe Änderungen der Sichtweisen. Zu Wort kommen unter anderem Solimans Ehefrau, deren gemeinsame Tochter, aber auch die Widersacher, allen voran der diabolische Mediziner Ernst Hoffmann, völlig versessen darauf, den Mohren möglichst rasch obduzieren und präparieren zu können. Um dem grauenhaften Wunsch auch Taten folgen zu lassen, geht er im wahrsten Sinn über Leichen.

Zu Auftrittsehren kommt auch Wolfgang Amadeus Mozart, als salopper Komponist und Freimaurer; in diese Loge wurde Soliman ja tatsächlich aufgenommen.
„Keiner von euch“ ist eingebettet ist in das Genre des historischenKrimis, auf der Anklagebank sitzen die Intoleranz, die politische Scheinmoral, aber auch der immerwährende Rassismus. Und es wäre nicht Felix Mitterer, würde er da nicht auf brisante Zeitbezüge verweisen und ein klares, vernichtendes Urteil fällen. Das Tiroler Urgestein des Volksdramas läuft spät, aber doch, auch als Roman-Autor, zu sozialkritischer Höchstform auf und setzt einem, der in seinem humanen Denken viele unter uns weit überragte, ein markantes Denkmal.
Felix Mitter. Keiner von euch. Haymon-Verlag, 344 Seiten, 24,90 Euro.