Ein in jeder Hinsicht mächtiges Werk, auf das Millionen Leserinnen und Leser gewartet haben. Mit „Spiegel und Licht“ vollendet Hilary Mantel, die den historischen Romanen zu völlig neuen Dimensionen verhalf, ihre 2009 begonnene Tudor-Trilogie. Das Werk beginnt im Jahr 1536, der Machtkampf zwischen dem schier unaufhaltsamen Aufsteiger Thomas Cromwell und Heinrich VIII. erreicht seinen Höhepunkt und mündet in ein furioses Finale. Für die beiden ersten Bände, „Wölfe“ und „Falken“ erhielt diese virtuose Erzählerin, die es mühelos versteht, Querverbindungen in die Gegenwart zu schaffen, jeweils den Booker Prize, gut möglich, dass eine dritte Auszeichnung folgt. Literarisches Kopfkino, das auch so manche TV-Serie alt aussehen lässt.
Hilary Mantel. „Spiegel und Licht“.
Dumont, 1104 Seiten, 32,90 Euro.

Bärenstark

Mit „Populärmusik aus Vittula“ schuf der schwedische Autor Mikael Niemi einen Weltbestseller, an Schrägheit kaum zu überbieten. Seine weiteren Versuche, noch weiter ins skurrile Milieu einzutauchen, erwiesen sich als reichlich verkrampft. Nach einer schöpferischen Pause feiert Niemi nun eine imposante Wiederkehr, auf nicht nur für ihn völlig anderem sprachlichen und thematischen Terrain. Mit großer Suggestionskraft nimmt er seine Leserschaft mit auf eine Zeitreise, die zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts und in ein Dorf in Nordschweden führt, wo der Alkohol in Strömen fließt und der Aberglaube noch blüht und gedeiht. Lediglich ein enorm belesener Pfarrer und sein Zögling Jussi, der geraume Zeit in den Wäldern lebte, versuchen, der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. Und scheitern kläglich, als ein entführtes Mädchen tot aufgefunden wurde, gemeuchelt angeblich von einem Bären. „Wie man einen Bären kocht“ überzeugt nicht nur durch seine dichte Atmosphäre, der exzellente Roman entpuppt sich auch als spannender Krimi in archaischen Zeiten.
Mikael Niemi. „Wie man einen Bären kocht“.
Btb, 512 Seiten, 20,60 Euro.

Zum Aufblühen schön

Das japanische Wort „Hanami“ brachte es in unseren Breiten durch den gleichnamigen Film von Dorris Dörrie zu einiger Bekanntheit. Wörtlich übersetzt bedeutet Hanami „Blüten betrachten“, gemeint sind natürlich die Kirschblüten, die alljährlich im Frühjahr im Zentrum faszinierender Feste stehen. Weitaus weniger bekannt ist allerdings, dass wahnwitzige „Modernisierer“ an der Wende zum 20. Jahrhundert drauf und dran waren, sämtliche Kirschbäume in Japan abholzen zu lassen. 1902 reiste der Engländer Collingwood „Cherry“ Ingram erstmals nach Japan. Eigentlich war Ingwood ein abgehobener britischer Exzentriker, aber er erkannte den Irrsinn der Abholzerei. Er schmuggelte einige Pflanzen nach England und schuf sich seinen eigenen, wunderbaren Kirschgarten. Inmitten all der Pracht legte er einen Schwur ab – eines Tages wollte er die Bäume wieder nach Japan zurückbringen. Klingt fast märchenhaft, entspricht aber einem wahren Albtraum. Die japanische Autorin Naoko Abe rekonstruiert in „Hanami“ die abenteuerliche Geschichte des Retters der Kirschblüten. Ein grandioses zeitgeschichtliches Werk, zum Aufblühen schön.
Naoko Abe: „Hanami“. S. Fischer. 448 Seiten,
mit zahlreichen Abbildungen, 23,70 Euro.

Im Western viel Neues

Mit „Butcher’s Crossing“ rückte John Williams das klischeereiche Genre der US-Western sprachgewaltig und bildmächtig in ein neues Licht, Téa Obreht erweist sich als ebenso geniale Schwester im Geiste. Die in Belgrad geborene Autorin, die in ihren Jugendjahren in den Staaten ihre neue Heimat fand, räumt in „Herzland“, angesiedelt in Arizona knapp vor dem Ende des 19. Jahrhunderts, ebenso gnadenlos wie zielsicher mit etlichen verlogenen Besiedelungsmythen auf und entfaltet rund um die in ihrer Existenz bedrohten Farmerin Nora Lark einen Country Noir, ebenso erbarmungslos wie emotional, mit raffiniert verzahnten Geschichten über Outlaws, skrupellose Großgrundbesitzer und Einzelkämpferinnen, die den „amerikanischen Traum“ längst abgehakt haben, aber nicht völlig stranden wollen. Mitreißend, meisterhaft.
Téa Obreht: „Herzland“. Rowohlt Berlin, 512 Seiten, 24,70 Euro.