Peter Fabjan ist ein freundlicher Mann, der eine große Ruhe ausstrahlt, doch wenn er spricht, wird es unheimlich. Denn dann glaubt man, Thomas Bernhard zu hören, seinen Halbbruder. Der Tonfall, die Stimmfärbung und vor allem dieses „nicht“ mit dem Fragezeichen dahinter am Ende fast jedes Satzes. Genauso hat Thomas Bernhard geklungen und gesprochen.

Aber das war es dann auch schon mit den Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten. Denn Peter Fabjan, geboren 1938, und Thomas Bernhard, Jahrgang 1931, das waren zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Fabjan studierte Medizin und war bis 2001 als Internist tätig. Nach dem Tod Bernhards 1989 wurde er dessen Nachlassverwalter. Die Familienkonstellation: Thomas Bernhards leiblicher Vater hieß Alois Zuckerstätter. Die Mutter, Herta Bernhard, heiratete nach der gescheiterten Beziehung im Jahr 1936 Emil Fabjan. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor: Peter und Susanna, geboren 1940. Herta Fabjan starb bereits 1950, ihr Mann Emil im Jahr 1993.

Über die nahe, aber schwierige Beziehung zu seinem Halbbruder Thomas hat Peter Fabjan ein Buch veröffentlicht, in dem er die konfliktreiche Familiengeschichte aufarbeitet. Der erste Satz: „Der Weg meines Bruders war ein einziges Bestreben, sich aus den beengenden Familienbanden zu befreien und sich ein Leben als Künstler zu erkämpfen.“

Peter Fabjan hatte eine nahe, aber schwierige Beziehung zu seinem Halbbruder Thomas Bernhard
Peter Fabjan hatte eine nahe, aber schwierige Beziehung zu seinem Halbbruder Thomas Bernhard © (c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)


Warum haben Sie dieses Buch mit dem Untertitel „Ein Rapport“ versehen?
PETER FABJAN: Weil es einer ist, ein Bericht. Und weil ich damit keinen Anspruch auf literarische Formulierung erhebe.

An einer Stelle schreiben Sie: „Mein Leben war ein Leben mit einem Phantom, ja einem Dämon an meiner Seite.“ Auch von einem „vampirhaften Verhalten“ sprechen Sie. Was genau meinen Sie damit?
PETER FABJAN: Seine Art des Umgangs miteinander war alles andere als alltäglich, manchmal unheimlich. Er hat Menschen manchmal gebraucht und – sobald sie ihm nicht mehr nützlich waren – fallen lassen.

Könnte folgende Kapitelüberschrift in Ihrem Buch ein Kurzpsychogramm Ihres Halbbruders sein: „Thomas Bernhard, der Liebende, der Hassende, der Verletzte, der sich ins Schreiben und Denken gerettet hat“?
PETER FABJAN: Die Antwort fällt kurz aus: Ja.

In einem Brief an Sie hat Thomas Bernhard folgenden Satz geschrieben: „Meine Krankheit ist die Distanz.“
PETER FABJAN: Distanz meint, dass ihm Nähe im täglichen Umgang mit Menschen, besonders auch körperliche Nähe, schwer erträglich war. Sie löste Misstrauen aus, aber vor allem die Angst, der andere könnte sich, lässt man die Nähe zu, etwas „herausnehmen“.

Sie haben in diesem Buch Ihre Erinnerungen an diese „verwunschene Familie“ und ihre Protagonisten festgehalten: die früh verstorbene Mutter, der geliebte – und gescheiterte – Schriftstellergroßvater Johannes Freumbichler, der verachtete Stiefvater.
PETER FABJAN: Die ganze Familie war im Grunde von einer Person, dem Großvater, seiner Idée fixe – der Welt mit der über Jahrhunderte erworbenen Lebensweisheit der Bauern den rechten Weg zu weisen – und seinem Glauben an das „Höhere“ , an die Kunst und sein Sendungsbewusstsein gefangen.

Ihre Erinnerungen an Thomas Bernhard setzen sich aus vielen Mosaiksteinen zusammen? Kann es überhaupt ein „Gesamtbild“ geben?
PETER FABJAN: Das Gesamtbild ist das eines Menschen, der sich von der Familie nicht als dazugehörend und in der Gesellschaft stets als fremd empfunden hat, sich aber zugleich in ihr Respekt und Anerkennung hat erwerben wollen. Und der sich immer als unser Bruder, nicht als Halbbruder gesehen hat.

„Schade, dass ich so wenig Kraft hatte, diese Situation anders als mit hinhaltender Gefolgschaft zu meistern.“ Mit „diese Situation“ meinen Sie wohl die Beziehung zu Ihrem Bruder insgesamt. Was hätten Sie im Umgang mit Thomas Bernhard anders machen können?
PETER FABJAN: Ihm ein einigermaßen entsprechender Bruder zu sein, hätte bedeutet, sich über das eigene Leben hinaus intensiv mit seinem Schreiben zu befassen – ihm zum Gesprächspartner zu werden.

Sie haben Ihren Bruder bis in den Tod begleitet. „Ich habe mich halt durchgesetzt!“ war der letzte Satz von Thomas Bernhard, bevor er starb. Was hat er damit gemeint?
PETER FABJAN: Er wollte damit wohl sagen, dass ihm sein Leben lang vor allem der Erfolg, die eigene Leistung in der Kunst wichtig gewesen ist und er so nur wenig Rücksicht auf den anderen hat nehmen können.

„Hat Thomas Bernhard eine Botschaft?“, wurden Sie einmal gefragt. Was haben Sie geantwortet?
PETER FABJAN: Ich habe geantwortet: „Er selber meinte: Nein. Ich aber meine: Sein ganzes Leben ist Botschaft.“

Wie schwer ist eigentlich die Bürde, der Bruder von Thomas Bernhard zu sein?
PETER FABJAN: Sie ist, dramatisch formuliert, mörderisch!

Und Ihr eigenes Leben?
PETER FABJAN: Das ist mit vielen Zufällen und helfenden Händen einigermaßen geglückt.

© KK

Buchtipp: Peter Fabjan. Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard.
Ein Rapport. Suhrkamp, 195 Seiten, 24,70 Euro.