Das Literaturjahr beginnt mit erwartbarer Aufregung: Am 11. Jänner erscheint der neue Roman des hass-geliebten französischen Autors Michel Houellebecq. Er trägt den Titel „Vernichten“ (Dumont). Wenige aus dem Zusammenhang gerissene Sätze werden wieder eifrig skandalisiert werden, aber im Kern handelt das Buch von der Entfremdung eines Ehepaares. Das ist wunderbar geschrieben, aber halt wenig empörungstauglich.

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Ein Sprung über den Großen Teich: Dantiel W. Moniz ist eine der aufregendsten literarischen Neuentdeckungen aus den USA. Ihre Erzählungen „Milch Blut Hitze“ (C. H. Beck, 26. Jänner) sind Porträts von Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten Floridas. Eine schreibmächtige Ikone ist James Baldwin, der Essay-Band „Von einem Sohn dieses Landes“ (Dumont) erscheint am 5. Juni. Die Einblicke des frühen Black Lives Matter-Protagonisten in sein zerrissenes Land haben hellseherische Qualitäten.

Die Vorgeschichte und die Folgen eines Mordes in einer desolaten Arbeiterstadt in Rhode Island erzählt US-Autor Stewart O’Nan im Roman „Ocean State“ (Rowohlt, 22. März) in gewohnt einfühlsamer, aber messerscharf analysierenden Weise. Paul Auster hingegen widmet sich in der Biografie „In Flammen“ (25. Jänner, Rowohlt) dem Leben und Werk des Berufskollegen Stephen Crane, eines früh vollendeten Genies, der vor allem mit seinem Bürgerkriegsroman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ (1895) literarische Maßstäbe setzte.

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„Die Nächte der Pest“ (Hanser, 14. Jänner) lautet der Titel des mit Spannung erwarteten Romans des türkischen Autors Orhan Pamuk. Der Ausbruch der Pest im Jahr 1901 ist auch der Beginn von gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Muslimen und Christen und das erneute Aufkeimen von Nationalismus, Aberglauben und Wissenschaftsfeindlichkeit. Klingt bekannt!

Großen epischen Atem beweist auch wieder die georgisch-deutsche Schriftstellerin Nino Haratischwili, die in ihrem Roman „Das mangelnde Licht“ (FVA, 25. Februar) einen großen Erzählbogen vom Bürgerkrieg in ihrem Heimatland in den 1980er-Jahren bis in die EU-Hauptstadt Brüssel anno 2019 zieht. Catalin Dorian Florescu wiederum unternimmt in seinem Roman „Der Feuerturm“ (C. H. Beck, 17. Februar) eine lebenspralle Zeitreise nach Bukarest im Jahr 1989, wo der Aufstand gegen die kommunistische Diktatur ein kleines Fenster zu Freiheit und Glück öffnete. Zwei autobiografische Erzählungen vereint der französische Literaturnobelpreisträger J. M. G. LeClézio in „Bretonisches Lied“ (Kiepenheuer & Witsch, 7. April) – poetische Bilder, ein Fest der Sprache, ein Sieg der kitschfreien Erinnerung.

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Den verzweigten Pfaden einer/ihrer armenischen Familie aus der Sicht eines Gastarbeiterkindes folgt Laura Cwiertnia in ihrem Roman „Auf der Straße heißen wir anders“ (Klett-Cotta, 19. Februar). „Wie lange dauert es, bis aus einem Zuhause eine Heimat wird?“ Ebenfalls bei Klett-Cotta erscheint am 19. März der Roman „Liebesheirat“ von Monica Ali, in dem es – wie schon in ihrem Erfolgsroman „Brick Lane“ – um einen Clash of Cultures im brodelnden London geht, um ethnische Zugehörigkeit, aber diesmal vor allem um Liebe und Ehe im heutigen Großbritannien.

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Emmanuel Carrère zeigt auch diesmal keine Scheu davor, (vermeintliche) Gewissheiten zu hinterfragen. In „Yoga“ (Matthes & Seitz, März 2022) beschreibt der Autor, wie er auf dem Weg zu sich selbst in eine heimtückische Krankheit kippt und durch Begegnungen mit anderen Schwankenden wieder ans Licht gelangt. Um folgenschwere Erschütterungen, in diesem Fall Erdbeben im nördlichen Italien, geht es im neuen Roman „Rombo“ (Suhrkamp, 14. Februar) der großen Menschen- und Landschaftsarchäologin Esther Kinsky.

Neuerscheinungen österreichischer Autorinnen und Autoren

Schon die sehr persönlichen Vorgängerbücher waren Bestseller, also ist die Neugier auf den Abschluss der Familien-Trilogie groß: Monika Helfer betitelt die Erinnerungen an ihren im Alter von 30 Jahren aus dem Leben geschiedenen Bruder „Löwenherz“ (Hanser, ab Jänner) und schließt damit den Kreis zu „Die Bagage“ und „Vati“. Ihr Vorarlberger Landsmann Robert Schneider ruft sich augenzwinkernd mit seinem „Buch ohne Bedeutung“ in Erinnerung (Wallstein, ab Februar), in dem er durch 101 Geschichten zwischen chinesischen Dynastien, dem New Yorker Central Park und einem Dorf in den Alpen flaniert.

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Skurril wie üblich dürfte das Wiedersehen mit Simon Brenner werden, dem Protagonisten von Krimi-Autor Wolf Haas. In „Müll“ ermittelt er diesmal auf einem Sperrmüllplatz, auf dem menschliche Leichenteile auftauchen (Hoffmann & Campe, ab März). Spannend wird es auch bei Doron Rabinovicis Roman „Die Einstellung“ zugehen: Hier will ein Pressefotograf mit dem Schnappschuss eines populistischen Politikers den Ausgang einer Wahl beeinflussen (Suhrkamp, ab Februar).

Antonio Fian legt ebenfalls ab Februar mit „Wurstfragen“ einen neuen Band mit Dramoletten vor. Im selben Verlag erscheint in diesem Monat auch „Gedankenspiele über die Wahrheit“ von Clemens J. Setz (beide Droschl, ab Februar): „Ich finde es durchaus ehrenwert und korrekt, Zitate zu erfinden. Ich mache das öfter“, heißt es darin. „Wie genau nimmt es der Büchner-Preisträger hier nun mit der Wahrheit?“, fragt der Verlag in seiner Ankündigung.

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Der aus dem Kongo stammende und in Graz lebende Autor und Lehrbeauftragte für afrikanische Literatur Fiston Mwanza Mujila hat mit seinem Debütroman „Tram 83“ für Aufsehen gesorgt. Nun erscheint sein neuer Roman „Tanz der Teufel“ (Zsolnay, ab März).
Den steirischen Schriftsteller Gerhard Roth braucht man nicht vorzustellen: Im Juni feiert er seinen 80. Geburtstag, im Mai erscheint sein Roman „Die Imker“, ein philosophisch-dystopisches Werk rund um die Bedeutung des Unbewussten und das Rätsel des Todes (S. Fischer).

Ebenfalls einen (halb-)runden Geburtstag nimmt die Bibliothek Suhrkamp zum Anlass für eine Neuauflage: „Die Verweigerung der Wehmut“ des Kärntner slowenischen Autors Florjan Lipus, bereits 1989 übersetzt vom mittlerweile verstorbenen Fabjan Hafner (ab April). Von Lipus-Übersetzer und -Freund Peter Handke erscheinen gleich zwei neue Bücher: „Zwiegespräch“ (Bibliothek Suhrkamp, ab März) und „Innere Dialoge an den Rändern. Aufzeichnungen 2016 – 2021“ (Jung & Jung, ab März).

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Mit den Neuerscheinungen von vielen starken Frauen wird das kommende Jahr zum Lesemarathon: Teresa Präauers literarisch-verspielter Text über das Heranwachsen, „Mädchen“, (Wallstein, ab März) lädt ebenso dazu ein wie Anna Kims„Geschichte eines Kindes“ (Suhrkamp, ab August). Auch zwei junge Grazerinnen machen mit neuen Büchern auf sich aufmerksam: Marie Gamillscheg erzählt in „Aufruhr der Meerestiere“ von einer Vater-Tochter-Beziehung (Luchterhand, ab März); Cordula Simon schildert in „Die Wölfe von Pripyat“ eine bitterböse Zukunftsvision (Residenz, ab Februar). Die in Zagreb geborene Kärntnerin Anna Baar, zuletzt mit „Nil“ in den Bestsellerlisten, widmet sich in ihrem Erzählband „Divân mit Schonbezug“ dem, was zugedeckt und beschönigt wird (Wallstein, ab März).

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Am Ende dieses Rundblicks über die Literatur-Landschaft Österreichs soll eine Debütantin stehen: Wie Anna Baar widmet sich auch Anna Herzig in „Die dritte Hälfte des Lebens“ dem Wegsehen und Weghören, hier in einem Dorf (O. Müller, ab Februar). Doch was mit Monika Helfer begonnen hat, endet mit Anna Herzig noch lange nicht: Fortsetzung folgt!