"Offene See“, der letzte Roman von Benjamin Myers, mit dem der Brite auch im deutschsprachigen Raum seinen Durchbruch schaffte, war ein Buch, das man sofort liebte ob seiner Leichtfüßigkeit und Weitherzigkeit. Myers erzählte darin die Coming-of-Age-Geschichte eines jungen Mannes, der nach dem Zweiten Weltkrieg sich selbst und die Welt erkunden wollte.

Es war eine zarte, luftige Ode an Land und Landschaft, ein leidenschaftliches Plädoyer für Freiheit und Autonomie und gegen die Enge des Fühlens, Denkens und Handelns. Und die See, die Gezeiten, die Felder, die Scholle, aber ohne pickig-nationalistische Verklärung, all das ist der Nährboden für Myers Botschaft, wenn man das so nennen möchte: Der Mensch braucht für den Einklang mit sich selbst eine (Um-)Welt, auf der er fest steht, die er respektiert und schätzt, und die er nicht ständig mit Füßen tritt.

Als gefinkelten, doppelbödigen „Zurück zur Natur“-Roman, als mahnende, aber nie moralisierende Aussteiger-Story kann man auch Benjamin Myers neuen Roman „Der perfekte Kreis“ lesen. Redbone und Calvert, zwei von ihrer eigenen Vergangenheit schwer lädierte Männer, haben sich gefunden und eine Mission. Sie heißt: „Nähre den Mythos und strebe nach Schönheit.“ Und dieser Mythos ist einer, der in England tief verwurzelt ist: Es geht um Kornkreise, über die seit Jahrhunderten mit Hingabe diskutiert, gerätselt und allerlei Unfug verbreitet wird.

Redbone und Calvert sind die Schöpfer solcher Kunstwerke. Nächtens schleichen sie sich mit ihren Gerätschaften in die Felder und ziehen vorsichtig, um ja keine Ähre zu zerstören, in den Hügeln der Kreidelandschaft ihre Bahnen und Kreise. Ihr Tun ist eine weithin sichtbare Liebeserklärung an die malträtierte Landschaft und gleichzeitig großflächiger Protest gegen eine Konsumgesellschaft, für die alles sofort und uneingeschränkt verfügbar sein muss. Redbone und Calvert wünschen sich ein England herbei, das den „träumenden Dissidenten und verwahrlosten Revolutionären“ gehört.

Doch die immer perfekteren Kreise werden bald zur internationalen Sensation und das, wofür die beiden „Feldforscher“ eintreten – Schönheit und Freiheit – verkehrt sich ins Gegenteil. Redbone und Calvert, die vereinbart haben, nie die Wahrheit über ihre Kreise zu offenbaren, geraten ins grelle Scheinwerferlicht einer Öffentlichkeit, die nur eine Sensation sucht, die man schnell aufblähen und dann wieder abhaken kann.

Obwohl Myers eine ganz andere Geschichte als in „Offene See“ erzählt, ist auch „Der perfekte Kreis“ eine zauberhaft poetische Zivilisationskritik, die jedoch nie ins Pädagogische abgleitet. Es geht um die verloren gegangene Verbindung zwischen Land und Leute, und darum, dass ein „Zurück zur Natur“ nichts mit Esoterik zu tun hat, sondern mit tiefer Erkenntnis.

Buchtipp: Benjamin Myers. Der perfekte Kreis.
DuMont, 217 Seiten, 22,90 Euro.

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