1. Like A Rolling Stone

Immer wieder und völlig zu Recht zum besten Song aller Zeiten gewählt – 6 Minuten und 13 Sekunden für die Ewigkeit. Eine kreative Revolution, die wütend auf ein Crescendo zutreibt. Der Song voll poetischer Originalität und musikalischer Dringlichkeit befindet sich auf dem Album „Highway 61 Revisited“ (1965). Und ähnlich wie die „Miss Lonely“ im Text hat auch Dylan „No Direction Home“ (so auch der Titel des Scorsese-Films über ihn). Seit dem 7. Juni 1988 befindet er sich auf seiner „Never Ending Tour“, das 3000. Konzert gab Dylan übrigens am 10. April 2019 in Österreich (Innsbruck).

2. Blowin' In The Wind

Ja, eh: zerspielt, verhunzt, verpickt, abgefackelt an Zigtausenden Lagerfeuern, aber mit diesem Song vom Album „The Freewheelin’ Bob Dylan“ (1963) wurde der Greenwich-Village-Novize zu jenem angebeteten „Friedensapostel“, der er nie sein wollte. Aber wenn man „Blowin’ in the Wind“ eine Chance gibt und alle Cover-Grauslichkeiten ausblendet, breitet sich ein Gefühl von tiefer Spiritualität aus. Wie später noch oft, ließ sich Dylan vom Alten Testament inspirieren, hier konkret vom Buch Ezechiel. Den Song hat er im Alter von 21 Jahren in Windeseile geschrieben, laut Zeugenaussagen in zehn Minuten.

3. Maggie's Farm

Good bye, Folk; hello, Rock. Der widerborstige Meister steht unter Strom, und den Fans brennen die Sicherungen durch. Am 25. Juli 1965 stöpselt Dylan beim Newport-Festival seine Fender Stratocaster Sunburst an den Verstärker und jagt eine elektrifizierte Version von „Maggie’s Farm“ (vom Album „Bringing It All Back Home, 1965) in die erboste Menge. Ausgerechnet Peter Yarrow vom Folkie-Trio Peter, Paul and Mary (das übrigens auch „Blowin’ in the Wind“ verkitscht hat) gab den Zeremonienmeister beim Festival und wunderte sich über die „Verzerrungen“. Der berühmte „Judas“-Ruf aus dem Publikum ertönte dann ein Jahr später, am 17. Mai 1966, in der Free Trade Hall in Manchester. „Ich glaube dir nicht, du bist ein Lügner“, knurrte Dylan zurück. Und seiner Band gab er die Anweisung: „Play it fucking loud!“

4. It Ain't Me, Babe

Der Song findet sich auf dem Album „Another Side of Bob Dylan“ aus dem 1964 und kann als bittere Trennungsode (an Suze Rotolo) gelesen werden – oder aber als Metapher der Verweigerung. „Ich bin nicht der, den ihr sucht.“ In seiner 2004 erschienenen Biografie „Chronicles, Vol. 1“ (Vol 2. folgte nie) schreibt Dylan: „Ich hatte eine Frau und Kinder, die ich mehr liebte als alles andere auf der Welt. Ich versuchte, für sie zu sorgen, keinen Ärger zu haben, aber die großen Nervensägen in
der Presse nannten mich weiterhin die Stimme, den Sprecher oder
gar das Bewusstsein einer neuen Generation.“

5. The Lonesome Death Of Hattie Carroll

Obwohl er sich nie ideologisch vereinnahmen lassen wollte, war Dylan von Beginn an ein zutiefst politischer Künstler, der in seinem Werk Stellung bezog gegen Kriegstreiberei und Rassismus. „The Lonesome Death of Hattie Carroll“ vom Album „The Times They Are a-Changin’“ (1964) ist eine bitterböse Abrechnung und thematisiert die Ermordung der schwarzen Kellnerin Hattie Carroll durch den weißen Farmer William Zantzinger. Die Anklage wird abgemildert, Zantzinger zu nur sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Der Urteilsspruch fällt übrigens am 28. August 1963; am selben Tag, an dem der Marsch auf Washington stattfindet und Martin Luther King seine „I Have a Dream“-Rede hält.

6. Sad Eyed Lady Of The Lowlands

Triumph und Tragödie lagen im Jahr 1966 nahe beieinander. Im Mai erschien mit „Blonde on Blonde“ das erste Doppelalbum der Rockgeschichte und eines der herausragendsten Werke von Dylan überhaupt. Er erreicht jenen lebhaft-silbrigen Klang, von dem er immer geträumt hat, und nennt ihn „Mercury Sound“. Die gesamte vierte Seite nimmt jener Song ein, von dem Dylan sagt, es sei der beste, den er je geschrieben hat. „Sad Eyed Lady of The Lowlands“ ist ein elfminütiges Liebeslied von reinster Schönheit und mit hoher Wahrscheinlichkeit seiner Frau Sarah gewidmet. Das Paar hat fünf Kinder, die Ehe wird 1977 geschieden. Der schmerzhaften Trennung verdanken wir übrigens das Album „Blood on the Tracks“ (1975), das einmal als „spirituelle Autobiografie einer verwundeten Empfindsamkeit“ beschrieben wurde. Aber zurück ins Jahr 1966, als die Empfindungen noch intakt waren, sich aber ein Unglück anderer Art ereignete: Dylan verunglückte am 29. Juli nahe Woodstock schwer mit dem Motorrad und zog sich zwei Jahre völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Die Rückkehr mit dem mystisch-biblischen „John Wesley Harding“-Album war menschliche Heilung und erneute künstlerische Häutung.

7. Not Dark Yet

Dass er ein „Man of Constant Sorrow“ ist, hat Bob Dylan bereits auf seinem allerersten Album im Jahr 1962 deponiert. 35 Jahre später legt er mit „Not Dark Yet“ einen seiner intensivsten und erschütterndsten Songs vor. Das dunkelschwarze Juwel vom herausragenden Album „Time Out of Mind“ (1997) handelt vom Tod, der unaufhaltsam näher kommt. Die Stimmung ist drückend, Hoffnung kaum vorhanden. Der Sänger fragt nach dem Danach, findet aber keine Antworten. Auch im Jetzt ist er unversöhnlich: „Mein Verständnis von Menschlichkeit, im Abfluss verschwunden.“ Ein tiefgründiges, schmerzhaftes Nachtstück, als Song eine Großtat. Textlich greift Dylan auf das Johannesevangelium zurück. Es ist noch nicht dunkel, aber die Nacht kommt näher.


8. Desolation Row

Es ist erstaunlich, dass die Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan im Jahr 2016 so viele Kritiker erstaunt hat, denn ein Großteil seiner Songs sind von hoher literarischer Qualität und Originalität. Stellvertretend sei „Desolation Row“ (1965) genannt, eine elfminütiger apokalyptischer Ritt in der Tradition von T. S. Eliots „The Waste Land“ oder Allen Ginsbergs „Howl“. Auf seiner Odyssee durch das Nirgendwo trifft der Erzähler Aschenputtel, das die Allee der Trostlosigkeit fegt, Kain und Abel tauchen ebenso auf wie Shakespeares Ophelia oder Albert Einstein, der sich als Robin Hood verkleidet. Und gleich in der ersten Strophe werden Postkarten vom Tod durch Erhängen verkauft. Literatur, was sonst?


9. I Contain Multitudes

Bob Dylan wird gerne als ewiges Enigma bezeichnet, als grinsender Jokerman und undurchsichtiger Maskenmann, der in Rollen schlüpft und Spuren verwischt. Biografisches und Erfundenes sind nicht mehr zu trennen, Faktisches wird zur Fiktion – und umgekehrt. „Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist“, so ein Buchtitel, der auf ein Dylan-Zitat zurückgeht. Dieses Spiel mit Identitäten ist auch Bestandteil der eigenen Autobiografie „Chronicles“. „I Contain Multitudes“ („Ich bin/beinhalte Vielfalten“) heißt wiederum ein Song auf dem aktuellen Album „Rough and Rowdy“. Der Satz ist eine Zeile aus Walt Whitmans Gedicht „Gesang meiner Selbst“. Und dort heißt es an einer Stelle:
„Ich bin der Dichter des Leibes und ich bin der Dichter der Seele. Die Freuden des Himmels sind in mir und die Qualen der Hölle sind in mir. Die ersten pfropfe und mehre ich auf mir, die letzten übersetze ich in eine neue Sprache.“

10. You're No Good

Am Ende zurück zum Anfang. Das erste Album trägt schlicht den Titel „Bob Dylan“, beinhaltet hauptsächlich Coverversionen und beginnt mit dem Blues-Titel „You’re No Good“. Aufgenommen im Zuge von zwei Sessions im November 1961, kommt die Platte am 19. März 1962 auf den Markt – und verkauft sich schlecht. Auch Dylan ist enttäuscht und will sofort ein zweites, eigenständiges Album aufnehmen. Das tut er auch. Und dann entwickelt sich Robert Zimmerman vom Woody-Guthrie-Epigonen tatsächlich zu Bob Dylan.