Wir alle spüren es: Immer mehr negative Kraft macht sich in unserem Alltag breit. Die Menschen haben mittlerweile an allem und jedem etwas auszusetzen. In der Alltagskommunikation dominieren Nörgelei und Kritik. Und ganz besonders die, die sich für andere Menschen einsetzen wollen - wie etwa Interessensvertreter oder Politiker - können es kaum noch jemandem recht tun und sind an allem schuld, was nicht so richtig läuft. "Das Schlimmste an dieser Entwicklung", schreibt Bernd Chibici im soeben erschienenen Buch "Alles nicht genug", "ist folgendes: Wir machen auch vor uns selbst nicht halt, hecheln weit verbreiteten, falschen Idealbildern nach, wollen noch erfolgreicher, schöner, schlanker und besser werden. Unzählige Menschen aller Altersgruppen sind mittlerweile am Weg dorthin in gefährlich tiefe Löcher gestolpert, aus denen sie nur schwer oder gar nicht mehr herausfinden. Sie heißen Depression, Burnout, Sucht und Stress. Sie alle eint ein bedrohliches Wachstum."

Was ist schuld daran? Eine wesentliche Rolle spiele, schreibt Chibici,vor allem die Tatsache, dass all jene Lebensbereiche, die so etwas wie Ladestationen für Zufriedenheit sind, von gewaltigen Umbrüchen und Veränderungen erfasst sind. So vor allem soziale Beziehungen, aber auch Arbeitswelt, Freizeit, Schule. Verstärkt wird all das durch das Internet, das maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Lust am Negativen eine unvorstellbare Breite gewonnen hat.

Nicht zuletzt sorgen auch eine Verwechslung oder gar ein bewusster Etikettenschwindel für Irritationen. Schon seit Jahren hat das nahe verwandte Thema Glück in Form unzähliger Bücher und intensiver Forschungsarbeit Hochsaison und der weit weniger klangvolle Begriff der Zufriedenheit wird nur dann und wann als Synonym verwendet. Erstaunlicherweise fragen Studien der Glücksforschung jedoch aus gutem Grund fast immer das Maß an Lebenszufriedenheit ab.

Doch die Zufriedenheit ist wichtiger als das Glück. Dieser Superlativ der positiven Lebensgefühle ist uns nur in seltenen, ganz besonderen Momenten gegönnt. Zufrieden können wir hingegen ein ganzes Leben lang sein - unter anderem auch mit Unterstützung durch Augenblicke des Glücks. Außergewöhnlich viele Menschen gehen aber mit völlig unrealistischen Erwartungshaltungen auf die Jagd nach dem Glück. Forscher stellten fest, dass dies für erheblichen Stress sorgt und in tiefer Enttäuschung des Scheiterns münden kann. Im wiederholten Fall könne dies, so die Expertenmeinung, zu chronischer Unzufriedenheit oder Depression führen.

Sehen wir uns die Zufriedenheit näher an: Sie ergibt sich aus der möglichst geringen Differenz zwischen bestehenden Umständen und unserer Erwartungshaltung, sagt die Theorie. Je mehr wir uns vom Leben erwarten und je weniger wir davon bekommen, desto schwerer erreichen wir Zufriedenheit. Eine Schlüsselrolle spielt also die Erwartungshaltung, die von geradezu grenzenloser Unbescheidenheit geprägt ist. Die berühmte Theorie der hedonistischen Tretmühle geht davon aus, dass sich die Menschen am Fortschritt nicht wirklich erfreuen können, weil sie etwa im gleichen Tempo seiner Entwicklung höhere Ansprüche stellen. Sie laufen also in der berüchtigten Tretmühle und kommen mit ihrer Zufriedenheit nicht vom Fleck. Nicht nur das: Obwohl so oft das Gegenteil behauptet wird, haben Wohlstand und materielle Güter auf die Lebenszufriedenheit nur marginalen Einfluss, er reicht nachweislich nur bis zu einem Niveau der gehobenen Existenzsicherung. Genau das haben wir in unseren Breiten schon vor Jahrzehnten erreicht.

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Alles nicht genug. Schwere Zeit für die Zufriedenheit. Von Bernd Chibici. 158 Seiten, 19,90 Euro. Edition Kleine Zeitung. Erhältlich im Buchhandel, in Büros der Kleinen Zeitung und auf shop.kleinezeitung.at