Die Verunsicherung unter potenziellen Autokäufern ist greifbar. Das Aus des Verbrennungsmotors noch im Laufe dieses Jahrzehnts, drohende Fahrverbote für Verbrenner-Fahrzeuge in Städten, Technologiewandel – die Schlagzeilen hören gar nicht auf. Soll man sich überhaupt noch ein Auto mit Verbrennungsmotor kaufen?

Jens Poggenburg, Executive Vice President bei AVL (Software, Messtechnik, Services)
Jens Poggenburg, Executive Vice President bei AVL (Software, Messtechnik, Services) © (c) Riedler Peter

Die Antwort ist vielschichtig, weil auch die alten Denkmuster nicht mehr funktionieren. Die Suche nach dem richtigen, umweltschonenden Antrieb für die Zukunft ist eine Art Glaubenskampf geworden. Die Fakten rücken in den Hintergrund, Differenzierung ist kein Thema mehr.

Egal, ob unterschiedliche Energiebilanzen thematisiert werden, die je nach Rechenmodell dem E-Auto im Vergleich zum Verbrenner ein gutes oder weniger gutes Zeugnis ausstellen, oder Restwerte zur Diskussion stehen. Ein Batterieauto wird genauso massiv an Wert verlieren, weil die Batterien – wie bei einem Handy – in Sachen Kapazität verlieren. Ein Verbrenner wird mehr ablegen, wenn Fahrverbote etc. durchschlagen. Auch hier findet man keine Entscheidungshilfe.

Autoindustrie: Geschäftsmodell Förderungen

Aber Autofirmen propagieren die E-Mobilität heute derart intensiv, dass sie selbst die Politik links und rechts überholen. Das stellt keine Überraschung dar. Förderungen und Kaufanreize haben das Geschäft in Schwung gebracht, die Industrie brummt und schöpft alle Möglichkeiten aus. Der Verbrenner erhält im Gegenzug das Stigma Auslaufmodell, weil CO2-Grenzwertüberschreitungen im Flottenverbrauch Strafzahlungen auslösen könnten, die die Konzerngewinne locker auffressen.

Und je mehr E-Autos den Markt fluten, desto stärker steigt der Druck auf die Politik, die Infrastruktur bereitzustellen, damit die Autos laden können und die teils veralteten Stromnetze auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet werden.

Die Politik hat die E-Mobilität gerufen, jetzt befindet sie sich in der Flügelzange zwischen Autoindustrie und längst fälligem Infrastrukturaufbau. Nüchtern überlegen heißt es deshalb, wenn es um die Kaufentscheidung geht. Verbrenner wird es auch in den 2030er-Jahren geben, E-Autos passen aktuell nicht in jedes Fahrprofil. Kaufentscheidungen müssen individuell aufs Fahrprofil abgestimmt werden.

Verbrenner ökologisch wettbewerbsfähig

Jens Poggenburg, Executive Vice President bei AVL (Software, Messtechnik, Services), kann die Unschärfen aus der ganzen Diskussion filtern. AVL, ein internationales Hightech-Unternehmen, das in der Entwicklung der E-Mobilität genauso beheimatet ist wie beim Thema Brennstoffzelle/Wasserstoff – und das, obwohl man aus der Verbrennerwelt kommt.

Poggenburg plädiert für Technologieoffenheit, weil man heute nicht sagen könne, welche Technologie 2030 bestimmend sein werde. Es gebe zu viele Variablen für eindeutige Aussagen.

Seine Einschätzung? „Ein neues Fahrzeug mit Verbrennungsmotor ist per se heute ökologisch wettbewerbsfähig. Mit einem Nachteil: Man kann nicht lokal emissionsfrei fahren. Natürlich entwickelt die Autoindustrie Verbrennungsmotoren weiter: Aber es sind Hybridantriebe, die genau diesen Nachteil wettmachen und lokal über bestimmte Strecken emissionsfrei unterwegs sind.“

Das schnelle Aus: Eine Hypothese

Die Aufgabe von Unternehmen wie AVL sei es jetzt, über das Tagesgeschäft hinauszuschauen. „Wenn ich mir jedoch das heutige Gesamtbild anschaue, dann sehe ich, dass es aktionistisch geprägt ist.“ Er erkennt dabei Analogien zur aktuellen Corona-Diskussion: „Da sei mir ein kleiner Exkurs erlaubt. Die Wissenschaft lebt von Widersprüchen, die Technik genauso wie die Medizin, wo man immer wieder unterschiedliche Einschätzungen der Experten hört.“

Die Datenlage sei auch beim Thema Mobilität so „heterogen“, dass man das herauslesen könne, was man herauslesen wolle. Das schnelle Ende des Verbrenners sei deshalb eine „Hypothese“, die viele Faktoren nicht berücksichtige.

Das betreffe die nachhaltige Stromerzeugung für E-Autos, die Weiterentwicklung der Batterien oder die Möglichkeit, weltweit eine ausreichende Infrastruktur bereitzustellen. Es sei ebenso eine „inhaltliche Verkürzung“, wenn der batterieelektrische Antrieb durch die Bank als CO2-neutral dargestellt werde. Die Gesamtenergiebilanz, von der Rohstoffgewinnung bis zum Betrieb und der Infrastruktur, sei zu betrachten. „Da werden noch Fragen auftauchen, die wir heute gar nicht sehen. Das ist der Grund, warum wir sagen, bleiben wir technologieoffen und klären die Probleme über physikalische Parameter und Grenzwerte.“

Onlinehändler und Leerfahrten

Poggenburg regt auch einen Perspektivenwechsel an: 30 Prozent der Lkw-Fahrten seien Leerfahrten. „Alle reden über den Individualverkehr, aber nicht über solche Fakten. Ich muss das als Einzelperson hinterfragen und handeln. Was bestelle ich alles beim Onlinehändler, was schicke ich zurück? Das wird in der Diskussion um unseren Individualverkehr zu wenig bedacht.“

Der ökologisch beste Weg bei der Kaufentscheidung? „Es geht um persönliche Fahrprofile, die Lade-Infrastruktur, die ich nutzen kann – und: Was kann ich mir leisten? Fahre ich viele Kurzstrecken, aber benötige ich gleichzeitig regelmäßig die Möglichkeit, Langstrecken zu bewältigen, dann wird ein Plug-in-Hybrid das Mittel der Wahl sein. Aber“, so Poggenburg, „den wesentlichen Unterschied in der Ökologie der Fortbewegung macht das individuelle Verhalten aus. Ich kann das ökologischste Auto haben – wenn ich dauernd mit dem Flieger unterwegs bin, wird mein CO2-Fußabdruck nicht passen.“

Zu beachten sei beim Kauf eines E-Autos auch: „Man sollte berücksichtigen, dass Förderungen, die heute gewährt werden, morgen wieder zurückgenommen werden können – etwa das Gratisparken für E-Autos.“

Brisanter Bericht

Absehbar ist trotzdem, dass sich aufgrund der verschärften Klimavorgaben die Entwicklung Richtung E-Mobilität beschleunigt. In der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ wurde soeben der Bericht einer deutschen Regierungskommission veröffentlicht. Quintessenz der brisanten Ausführungen: Bereits 2030 müsste ein Drittel der Fahrzeuge in Deutschland elektrisch unterwegs sein, wenn der CO2-Ausstoß im Verkehrssektor bis dahin – wie beschlossen – sinken soll.

In absoluten Zahlen bedeutet diese Analyse, dass statt der bisher geplanten sieben bis zehn Millionen E-Autos ein Bestand von circa 14 Millionen E-Pkw im Jahr 2030 für die Erreichung der Klimaziele erforderlich ist.

Nullemisionszonen ohne Autos

Das würde zur Folge haben, dass in Deutschland in vier Jahren bereits zwei Millionen E-Fahrzeuge pro Jahr neu zugelassen werden müssten. Für die jedoch nach aktuellem Stand keine ausreichende Lade-Infrastruktur vorliegt. Dazu kommen heikle Vorschläge: Aktuelle Umweltzonen in Städten könnten in „Nullemissionszonen“ umgewandelt werden, in denen nur noch E-Fahrzeuge, Fahrräder etc. erlaubt wären.
Österreichs Klimaschutz-/Mobilitätsministerium arbeitet aktuell am neuen Mobilitätsmasterplan 2030 (Klimaneutralität 2040) – Ergebnisse liegen noch nicht vor.