Die Häuser in der Griesgasse spiegeln das wider, was den gleichnamigen Bezirk in Graz ausmacht: Es ist eine kunterbunte Mischung, ein spannendes Miteinander. Kein Haus gleicht dem anderen. Der Gries war immer „das Viertel der gewerblichen Bürger“, sagt Architekt Christian Andexer. Etwa in der Gassenmitte - dort, wo nun lange Zeit ein Loch zwischen zwei Fassaden klaffte - wurde früher Fleisch verkauft. Seit wenigen Monaten steht hier ein neues Wohngebäude.

Architektin Ulrike Bogensberger ist Mieterin der ersten Stunde. Als sie 2017 von den Bauherrn Alexander Pongratz und Helge Leinich beauftragt wurde, einen Architektenwettbewerb für das Projekt zu organisieren, ahnte sie noch nicht, dass sie selbst einmal begeistert die Chance ergreifen und hierher übersiedeln würde. Aber der Reihe nach, denn das neue Gebäude ist nicht der ganze Teil der Geschichte - auch ein altes Haus gehört dazu.

Barocke Fassade

Früher verfügte das denkmalgeschützte Gebäude über eine barocke Fassade und Stuckdecken, allerdings wurden sie im Laufe der Jahre erfolgreich unter einer Menge (Farb-)Schichten versteckt. Der Dachstuhl war nicht mehr zu retten, die Zwischendecke(n) morsch. Es galt also, das denkmalgeschützte Haus zu revitalisieren und um einen Neubau zu ergänzen. Das gelang bravourös.

Architekt Christian Andexer schuf eine einzigartige Verbindung zwischen den - auf den ersten Blick so unterschiedlichen - Häusern. Man betritt sie durch einen gemeinsamen Eingang, sie teilen sich Lift und Stiegenhaus. Eichen-Vollholz, Holzparkett, Glas, eine dezente Farbgebung, großzügige Bäder - all das ist im alten wie auch im neuen Bereich bestimmend.

Fällt die Eingangstür ins Schloss, sperrt man das quirlige Griesviertel aus. Ein Laubengang verbindet Alt und Neu - an der Wand die Installation eines lokalen Künstlers. Der Gang öffnet sich zu einem gepflegten Hof, in dem noch Ende letzten Jahres der Grundstein für die Begrünung gelegt wurde. Auch die Dachflächen sollen in frischem Grün leuchten, sobald der Frühling nachhilft.

Spanische Wand

Zur Straße hin zeigt der Neubau jeden Tag ein anderes Gesicht, denn die Bewohner selbst sind Mitgestalter des Außenauftritts. Wer den Alltag aussperren will, schließt die „spanischen Wände“ vor den Terrassen zur Straße hin. Der Freiraum hält die Straße auf Abstand. Durch die Perforierung bleibt man unentdeckt, sieht aber, was sich draußen tut.

Die neun Wohnungen selbst strecken sich tief in den Hof hinein. Von Ost nach West - von der Morgen- bis zur Abendsonne dringt viel Licht in die Räume. Wo im Hof einst Fleischer ihr Handwerk verrichteten, sind nun schmucke Maisonettewohnungen entstanden, rechts davon eine Einheit mit kleineren Wohnungen. Insgesamt ist es ein großer Komplex, dennoch kommt man sich nicht wie in einer Siedlung vor.

Vielleicht liegt das auch daran, dass man sich hier nicht gegenseitig ins Essen schauen und trotzdem miteinander in Kontakt bleiben kann. Ein Gang umrahmt die Stockwerke im Hof, schafft einen Sichtschutz und wiederum eine Verbindung zum denkmalgeschützten Wohngebäude. Die Wohnungen des Neubaus etwa sind so vom Hof aus - trotz der großen Glasfenster - nicht einzusehen.

Ulrike Bogensberger, Mieterin der ersten Stunde, hat ihr Fenster zum Hof den Zimmerpflanzen gewidmet - eine Oase in der Wohnküche. 42 Quadratmeter Wohlfühlraum hat sie im Neubau für sich erobert. Mit Blick über die Dächer von Graz.