In dieser Woche leitete Mario Draghi seine letzte EZB-Sitzung als Ratschef, in seiner Ära wurden die Zinsen nie erhöht, zuletzt wurde die Geldflut sogar noch einmal ausgeweitet. Das sind abermals trübe Aussichten für den nahenden Weltspartag.
MARTIN SCHALLER: Der scheidende Präsident hat uns ein tragisches Abschiedsgeschenk hinterlassen. Das können immer weniger Menschen nachvollziehen. Wir halten diese Null- und Negativzinspolitik für falsch, das sagen wir schon seit zwei, drei Jahren, als deutlich wurde, dass die Konjunktur anspringt, zwischen 2016 und 2018 sogar sehr stark. Hätte man die Zinsen damals leicht angehoben, wie in den USA, dann hätte man jetzt sogar ein leichtes Senkungspotenzial. Denn jetzt sind wir in einer Situation, in der sich die Konjunktur abschwächt, wobei ich nicht von einer Rezessionsgefahr sprechen würde, aber wir werden 2020 eine Delle haben. Der Schritt vom ersten Untergeschoß ins zweite Untergeschoß macht es aber sicher nicht besser, sondern bringt Sparer, aber auch Banken in eine schwierige Situation. Umgekehrt ist der Nutzen daraus aus meiner Sicht absolut überschaubar, wenn überhaupt vorhanden.

Mit welchen Folgen?
SCHALLER: Für Sparer und Anleger ist es absolut schädlich. Die Notenbanken vernichten damit Geld der Sparer, wir haben durch diese Null- und Negativzinspolitik allein in Österreich seit 2015 rund 15 Milliarden Euro an Kaufkraft verloren.

Zahlt sich da Sparen überhaupt noch aus?
SCHALLER: Auf jeden Fall. Sparen hat ja auch die Funktion des Notgroschens. Man kann immer wieder in die Situation kommen, dass man auch unvorhergesehen finanzielle Mittel braucht, und da ist es immer gut und wichtig, wenn man etwas auf der Seite hat. Wobei Sparen heute deutlich vielschichtiger betrachtet werden muss, die Veranlagungspyramide wird immer wichtiger, gerade in so einer Zinsphase.

Wo zeigt sich das?
SCHALLER: Wir haben das permanent verfügbare Online-Sparen, da wird man nicht reich, ganz klar, aber es ist dennoch wichtig. Darüber hinaus kommt aber noch viel stärker die Beratung ins Spiel und das ist wiederum eine Stärke der Regionalbanken. Wir klären mit dem Kunden den Veranlagungshorizont, seine Risikobereitschaft, und abhängig von diesen Kriterien beraten wir über Möglichkeiten der langfristigen Veranlagung, beispielsweise in Wertpapierfonds, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. Aber als Sockel ist und bleibt das Sparen, etwa Online-Sparen oder das Bausparen, von großer Bedeutung.

Europaweit ist eine Angstdebatte über Negativzinsen auf Spareinlagen entbrannt, in Österreich werden Privatkunden durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, OGH, davor geschützt. Das wurde zuletzt aus der Branche aber auch negativ bewertet. Wie sehen Sie das?
SCHALLER: Wir sind sicherlich nicht die, die unseren Privatkunden mit aller Gewalt Negativzinsen zumuten wollen. Für das bestehende Einlagengeschäft gibt es diese Nullgrenze. Für das Neugeschäft ist diese Grenze nicht notwendigerweise so zu sehen. Man muss sich anschauen, wie sich das jetzt weiterentwickelt. Wenn die Notenbanken noch weiter nach unten gehen, muss man sich das irgendwann noch einmal ansehen, aber wir haben jetzt keine aktuellen Pläne dazu.

Aber müssen Österreichs Banken letztlich nicht sogar froh über dieses Verbot sein, Negativzinsen könnten ja dazu führen, dass Privatkunden aus Furcht davor oder allein schon aufgrund der Debatte ihre Guthaben abziehen?
SCHALLER: Es muss sich niemand fürchten, schon gar nicht im Bestandsgeschäft. Was vielleicht irgendwann in der Zukunft für das Neugeschäft passiert, wird von den Rahmenbedingungen abhängen, aber Angst muss keiner haben. Man sieht ja auch – und das ist erstaunlich und erfreulich –, dass das Sparvolumen nach wie vor sehr stark steigt. Wir haben bei Raiffeisen in der Steiermark seit dem Jahr 2009 um 45 Prozent mehr Spar- und Giroeinlagen dazubekommen, das ist ein Anstieg von 10,8 auf 15,7 Milliarden Euro. Das Vertrauen in uns ist nach wie vor groß, trotz dieser Zinssituation.

Für Firmenkunden können Negativzinsen eingehoben werden. Ist das auch bei Raiffeisen in der Steiermark bereits der Fall?
SCHALLER: Ja, das gibt es, für sehr große institutionelle Kunden mit hohen Einlagen müssen wir zum Teil auch ins Minus gehen. Natürlich beraten wir diese Kunden aber und sagen, wenn du anders veranlagst, beispielsweise längerfristiger, dann kann man so eine Negativverzinsung vermeiden.

Der IWF warnt, dass diese Nullzinsphase Investoren zu immer höheren Risiken verleitet, was zu Stabilitätsrisiken führen könnte. Eine berechtigte Sorge?
SCHALLER: Ich sehe das auch so. Wenn man in normalen Veranlagungen keine oder sogar negative Renditen erwirtschaftet, dann überlegt sich jeder, wo es noch hohe Renditen gibt. Die Gefahr einer Überhitzung bzw. von Blasenbildungen wird durch so eine Zinspolitik gefördert. Ich sehe in Österreich aber keine Anzeichen für eine Blasenbildung, auch nicht im Immobilienmarkt.

Ist der Weltspartag in Zeiten wie diesen für einen Bankmanager noch ein Freudentag oder schon eher eine Plagerei?
SCHALLER: Auch wenn es vielleicht altmodisch klingt, ich freue mich jedes Jahr darauf, für mich ist es keine Plagerei. Es gibt uns Gelegenheit, mit unseren Kunden näher in Kontakt zu treten. Allein im Vorjahr haben uns rund um den Weltspartag mehr als 100.000 steirische Kunden besucht. Wir können uns austauschen, beraten. Der Kundenkontakt steht im Mittelpunkt, daher ist der Weltspartag unser Hochamt.

Die klassische pädagogische Komponente des Sparens, nach dem Motto, bevor man etwas ausgibt, muss man sich etwas ersparen, ist die aus Ihrer Sicht noch vorhanden?
SCHALLER: In der Großelterngeneration jedenfalls, die ist sicherlich eine, die weiß, dass es wichtig ist, dass man’s hat, wenn man’s braucht, wie es in einem alten Spruch heißt. Es wird auch versucht, das den Kindern mitzugeben. Ich sehe es aber auch als unsere Aufgabe, das zu tun. Es ist insoferne nicht immer ganz einfach, weil wir sehen, dass die Wirtschafts- und Finanzbildung in den Schulen ganz allgemein verbessert werden muss. Dringend.

Die Konjunktur trübt sich ein, was erwarten Sie?
SCHALLER: Wir sind jetzt in einer Situation, in der sich die Konjunktur abschwächt, wobei ich nicht von einer Rezessionsgefahr sprechen würde, aber wir werden 2020 eine Delle haben.

Spüren Sie das bei Raiffeisen in der Steiermark bereits?
SCHALLER: Wir merken es nicht, das stimmt mich auch optimistisch. Auch die Nachfrage nach Investitionskrediten ist nach wie vor auf einem guten Niveau. Aber natürlich wird es mittelfristig nicht so sein, dass man als Bank überhaupt gar keine Risikokosten hat. Das war jetzt eine Phase lang so, aber Bankgeschäft ist nun einmal auch Risikogeschäft, aber aus heutiger Sicht ist das überschaubar, einschätzbar und darstellbar.