Von „Super Mario“ bis hin zu „Onkel Draghobert“ reichten die Wortschöpfungen in der Anfangszeit seiner Ära: Als der Italiener Mario Draghi am 1. November 2011 sein Amt als neuer Präsident der Europäischen Zentralbank angetreten hatte, war bereits klar: Ihm steht eine Herkulesaufgabe bevor. Die Inflation in der Eurozone war damals mit bis zu drei Prozent sehr hoch, die Konjunkturaussichten waren trüb und die europäische Schuldenkrise ungelöst. Ein Dilemma: Der Leitzinssatz für die Eurozone lag damals bei 1,5 Prozent, eine Senkung schien ob der wirtschaftlichen Eintrübung in Kombination mit der Schuldenkrise notwendig, doch die hohen Teuerungsraten sprachen vorerst dagegen. Eigentlich.

Denn Draghi überraschte bereits in der ersten Ratssitzung unter seiner Führung – nur zwei Tage nach seinem Amtsantritt – und senkte die Zinsen auf 1,25 Prozent. Fortan ging es sukzessive nach unten – seit März 2016 verharrt der Leitzinssatz nun bereits auf der Nulllinie. Draghi geht damit als jener EZB-Präsident in die Historie ein, in dessen achtjähriger Amtszeit die Leitzinsen niemals angehoben wurden. Zudem wagten sich die Währungshüter bei ihrem geldpolitischen Kurs in immer neue Gefilde vor, für Banken wurden Strafzinsen eingeführt, wenn sie Geld bei EZB parken, es wurde ein billionenschweres Anleihenkaufprogramm aufgelegt, über das Staatsanleihen und später auch Unternehmensanleihen aufgekauft wurden.

Schrecken der Sparer, Retter des Euro

Draghi wurde zum personifizierten Schrecken der Sparer, doch mit einem denkwürdigen, gewissermaßen spielentscheidenden Satz hat er sich auch einen Fixplatz in der Wirtschaftsgeschichte gesichert. Am 26. Juli 2012 – die Griechenlandkrise und mit ihr die Existenzsorgen in der Eurozone hatten gerade neue Höhepunkte erreicht – ließ er in London wissen: „Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten, was auch immer nötig ist (,whatever it takes‘).“ Es ist unbestritten, dass er mit dieser, heute als „Machtwort“ klassifizierten Aussage enorm zur Stabilisierung beigetragen hat. Während die EU-Staaten und Euro-Länder von einer Krisensitzung in die nächste stolperten, wurde die EZB zum bestimmenden Faktor. Trotz dieser Meriten fällt Draghis Gesamtbilanz zwiespältig aus. Der frühere Weltbank-Exekutivdirektor und Investmentbanker von Goldman Sachs reizte das gesamte Arsenal der Geldpolitik bis zum Anschlag aus – mitunter auch gegen den Widerstand anderer Ratsmitglieder. Selten zuvor zeigten sich die Ratsmitglieder der Zentralbank so gespalten wie in jüngerer Vergangenheit. Der Zeitpunkt für eine geldpolitische Wende wurde in den vergangenen Jahren aus Sicht vieler Kritiker schlicht versäumt.

Bei der gestrigen, seiner letzten Ratssitzung als EZB-Chef wurden nach dem besonders umstrittenen „Feuerwerk“ im September keine weiteren Maßnahmen beschlossen. Draghis Erbe bleibt eine de facto einzementierte ultralockere Geldpolitik. Seiner Nachfolgerin, der früheren IWF-Chefin Christine Lagarde, wollte er bei seiner Abschiedsgala keine Ratschläge erteilen. „Sie weiß sehr gut, was zu tun ist“, so Draghi. Lagarde wird die Geldschleusen auf absehbare Zeit wohl weit geöffnet halten (müssen). Nach der harschen Kritik am anhaltenden geldpolitischen Ausnahmezustand, u. a. auch von Österreichs Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann, versicherte sie aber bereits, auch die möglichen negativen Effekte im Blick zu haben.