Früh im Jahr sorgte das Wiener Start-up GoStudent, ein global agierender Anbieter von Online-Nachhilfe, diese Woche für ein Ausrufezeichen. 300 Millionen Euro stecken internationale Investoren in das 2016 gegründete Unternehmen. Mehr Geld als österreichische Start-ups je zuvor in einzelnen Finanzierungsrunden bekamen.

Durch das Investment wird GoStudent mit einem Wert von 3 Milliarden Euro ausgeschildert und liegt nur knapp hinter der Kryptoplattform Bitpanda, die mit 3,5 Milliarden Euro bewertet wird. Die nunmehrige Kapitalrunde fügt sich nahtlos in jüngst Geschehenes ein. Schon im Rekordjahr 2021, mehr als 1,2 Milliarden Euro flossen in heimische Start-ups, holten sich die beiden Schwergewichte 50 Prozent des Geldes. Was uns schnell zur Frage bringt: Ist das Rekordinvestment bei GoStudent Zeugnis einer allgemein im Aufbruch befindlichen Start-up-Landschaft? Oder hat es mehr mit einem einzelnen Leuchtturm zu tun?

Mehr GoStudent, weniger Standort

Lisa-Marie Fassl, Start-up-Beauftragte der Regierung und keine Freundin der Verklausulierung, wählt zweitere Antwort: „GoStudent hat ein wirklich gut ausgebildetes Gründungsteam, das Tag und Nacht arbeitet. Außerdem hatten sie früh gute Investoren an Bord und profitierten auch von der Coronakrise.“ Mit den Standortbedingungen hätte die bemerkenswerte Wachstumsgeschichte wenig zu tun, als Signal an die Szene diene sie trotzdem. Fassl: „Beide Gründer sind superjung (26 und 28, Anm.). Das kann schon einen positiven Effekt auf die nachkommende Generation haben.“ Nicht zuletzt würde jetzt mehr Aufmerksamkeit auf dem „Standort Österreich liegen“.

Ein Mehr an Aufmerksamkeit registriert auch Laura Egg, Geschäftsführerin der Austrian Angel Investor Association (AAIA), Österreichs führendem Investoren-Netzwerk. Alleine in den ersten Jännertagen wären zehn neue Mitglieder dazugestoßen. Egg: „Anscheinend haben sich viele den Vorsatz geschaffen, heuer in Start-ups zu investieren.“ Tatsächlich wird der Pool an Interessierten kontinuierlich größer. Immer mehr ehemalige Gründer suchen nach Möglichkeiten, selbst in Start-ups zu investieren. Dazu kommt eine wachsende Zahl an Technologieaffinen, die mit Spekulation im Krypto-Bereich Kapital angehäuft haben. „Es ist viel Geld am Markt“, sagt AAIA-Chefin Egg.

Zugleich fließe das Geld zurzeit in höhere, aber weniger Investitionsrunden. Während einige also profitieren, bleiben viele auf der Strecke. Das Investment in GoStudent sei deswegen ein „zweischneidiges Schwert“, meint Egg. Einerseits sei es ein „tolles Projekt, das viele Arbeitsplätze in Österreich schafft“, andererseits dürfe es die Politik „nicht ermutigen, sich zurückzulehnen“. Die Rahmenbedingungen am Standort seien weiter schwierig.

Hoffnung setzt man in der Szene in eine neue Gesellschaftsform für Start-ups. Mehrmals angekündigt, soll sie in den kommenden Wochen präsentiert werden. Nennen wird sich die Rechtsform wohl FlexCo, u. a. soll sie Beteiligungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern attraktivieren und Kapitalerhöhungen vereinfachen. Man brauche „radikale Veränderungen“, heißt es von Start-up-Beauftragter Fassl. Die Punkte aus dem Regierungsprogramm müssten „endlich umgesetzt werden“.

Start-ups zwischen Schein und Sein

Die wachsende Bedeutung der Start-up-Szene für die Gründer- und Jungunternehmerlandschaft im Land sei unbestritten, meint indes der Unternehmensberater Jürgen Götzenauer. Er vermisse jedoch zuweilen einen etwas nüchternen Umgang mit Start-ups. Mitunter sei die Diskrepanz zwischen Schein und Sein eklatant, wie er auch in seiner Beratungstätigkeit immer wieder festgestellt habe – und das auf „beiden Seiten“, also sowohl bei Investoren und beteiligten Unternehmen sowie bei den Gründerinnen und Gründern selbst. Die ersten Schritte bis hin zur Gründung und in der Startphase seien – auch durch die Förderkulisse in Österreich sowie Inkubatoren – in der Regel gut abgedeckt.

Die folgenden Wachstumsphasen, die meist kapitalintensiv seien, sorgten indes für Herausforderungen. Doch auch nach einer erfolgreichen Investorensuche stelle sich im Zusammenhang mit Start-ups immer wieder Ernüchterung ein, „dann zeigt sich, dass abseits der guten Idee oft noch nicht viel Substanz vorhanden ist“. Das habe, so Götzenauers Erfahrung, vielfach auch damit zu tun, dass zentrale Aspekte im Bewertungsprozess von Start-ups, der sogenannten „Due Diligence“ oftmals sträflich vernachlässigt werden. Aus Sicht von Götzenauer, der technische Informatik und Betriebswirtschaft studierte und 20 Jahre als Technologievorstand in der Industrie tätig war, werde häufig zu wenig Augenmerk darauf gelegt, wie ausgereift und marktfähig Technologie und Software sind.

In ihrer Startphase würden Start-ups oft nicht mehr als ein sogenanntes Minimum Viable Product (MVP), ein „minimal brauchbares Produkt“ – bzw. ein „Proof of Concept (also eine Art technischer Machbarkeitsstudie) entwickeln. Der Fokus in dieser Phase liege „naturgemäß und völlig zurecht darauf, erste Märkte und Kunden zu adressieren und zu gewinnen, um dementsprechend auch erste Umsätze zu erzielen, diese skalierbar abzubilden und somit für Investoren interessant zu werden“.

Im Erfolgsfall gelte es dann aber, in kurzer Zeit marktseitig enorm zu wachsen. Kunden, Nutzer, Funktionen und Funktionalität – „all das soll binnen kürzester Zeit stark zulegen“, so Götzenauer. „Nicht selten sind jedoch Softwarearchitektur und Entwicklungsprozesse nicht auf diese Art der Skalierung vorbereitet und es kommt zu großen Problemen“, so seine Erfahrung. Technische Mängel und organisatorische Defizite würden die Weiterentwicklung behindern, der Markteintritt verzögere sich, eine Situation, die sich sowohl für Investoren als auch für die Start-ups selbst äußerst unangenehm darstelle. Mittlerweile begleite er daher Investoren und Unternehmen bei Zukäufen und Beteiligungen, „etwa in Form von Software, Technologie-Ratings und Unternehmensbewertungen, um technische und organisatorische Risiken frühzeitig erkennen zu können“.