Tarvis. Diese sechs Buchstaben lösen im Kopf mancher Alpenländer betörende Sehnsucht nach dem Süden aus. Dass Tarvis auf 750 Meter Seehöhe liegt und nicht gerade mediterran wirkt, tut nichts zur Sache: Der Hauptort des Kanaltals ist die Einfahrtsschneise nach Italien, erste Labe- und Ladestation auf dem Weg ins Dolce Vita. Kein Honigschlecken für die rund 4150 Einwohner – viele von ihnen im Handel, der Gastronomie oder im Tourismus beschäftigt – war die Zeit der Lockdowns. Tarvis, ausgerichtet auf Ferien- und Tagesgäste, darbte, noch mehr als andere.

Viele Sommerfrischler 2020

Und das nach einem Sommer 2020, der Rekorde sprengte: Italiener, die sonst weite Bögen um das Städtchen zogen, fanden nach Tarvis. Denn auch sie zogen den Heimaturlaub vor, viele pilgerten auf den Wallfahrer-Berg Monte Luschari, andere zu den Laghi di Fusine (Weißenfelser Seen), zum Lago del Predil (Raibler See). Oder sie traten entlang des Alpe-Adria-Radwegs in die Pedale. Hauptsache, erfrischende Bergidylle.
Früher kam kaum einer der Naturschönheiten wegen, vielmehr übten Lederjacken Anziehungskraft aus. Der Tarviser Markt: beliebteste Anlaufstelle im Zufluchtsort für Besucher, die sich über Thörl-Maglern anpirschten. Bretterbuden als frühes Shopping-Erlebnis.

Rosario Stentardo, Chef des „Time Out"-Cafés
Rosario Stentardo, Chef des „Time Out"-Cafés © Kleine Zeitung / Weichselbraun

Ausgehungert nach Pizza, Cappuccino und Lederwaren wurde Verhandeln zum Volkssport. Die Erinnerungen daran ist ähnlich verblasst wie der Charme des Mercato. Für etwas Frequenz sorgen jene, die dem Tandeln etwas abgewinnen können. Immer öfter bleiben Rollläden unten, der Fetzenmarkt ist vor allem an Wochentagen ein Trauerspiel. Gähnend leere Geschäftslokale sind auch andernorts Zeitzeugen des Strukturwandels. In Tarvis passen sie gut ins Bild.

Der Tarviser Markt hat schon bessere Zeiten gesehen
Der Tarviser Markt hat schon bessere Zeiten gesehen © Weichselbraun

Prachtvolle Landschaft

Seine Zukunft scheint das Städtchen nun in der prachtvollen Landschaft zu suchen. „Menschen aus ganz Norditalien haben uns entdeckt“, sagt Bürgermeister Renzo Zanette stolz. Der Forza-Italia-Mann spürt Rückenwind für Tarvis, das mit einer Dreifaltigkeit aus „Open-Air-Einkaufszentrum“, „made in Italy“ und Natur „Kunden aus Österreich zurückgewinnen“ will.

Bürgermeister Renzo Zanette
Bürgermeister Renzo Zanette © KK

Da die erhoffte neue Klientel auch Ansprüche an die Unterkunft mitbringt, hofft man auf Investoren für die schwer gezeichneten und teils geschlossenen Hotels. Im Trend sind Hütten, die in Tarvis-Nähe entstehen – für Ferien im alpinen Raum.

Und auch für den viel geschmähten Markt ortet Zanette Chancen, der Marktverein soll durch Events und andere Aktionen Käufer anlocken. Der Ortschef verbreitet – wie es wohl sein muss – einen Schwall Optimismus.

"Sie sind so glücklich"

Und bekommt Rückendeckung: „Wir lösen unsere Probleme mit Italianità“, erklärt Rosario Stentardo, Chef des „Time Out"-Cafés. Italianità? Sehr frei übersetzt: die Fähigkeit, sich aus einer schwierigen Situation herauszuwinden. Wie das geht, will man gar nicht so genau wissen. Was zählt, ist das Ergebnis: „Die ersten Österreicher sind wieder da“, sagt Stentardo, der während der Pandemie in sein Lokal investierte. „Und schaut in ihre Gesichter: Sie sind so glücklich, dass sie wieder nach Italien dürfen.“