Fast täglich sind Warnungen vor einer großen Pleitewelle im nächsten Jahr zu vernehmen, vor einer Zäsur und einem Tag der Wahrheit, wenn für viele Betriebe gestundete Steuern, Abgaben, aber auch Kredite wieder bedient werden müssen. Sehen Sie diese Gefahr ebenfalls?
MARTIN SCHALLER: Das ist jetzt immer wieder zu hören. Ich bin aber der Meinung, dass diese sogenannte Pleitewelle nicht notwendigerweise in diesem befürchteten Ausmaß kommen muss. Für einige wird es sicher schwieriger werden, aber ich glaube derzeit nicht, dass es eine so dramatische Zäsur sein wird. Wir beobachten, dass die Stimmung derzeit schlechter ist, als die tatsächliche Lage.

Die Finanzmarktaufsicht hat zuletzt gemeint, dass womöglich jeder vierte von Banken gestundete Kredit ausfallen könnte. Ist das realistisch?
Ich kann mit dieser Zahl, ehrlich gesagt, nichts anfangen. Ich sehe das nicht, speziell nicht bei unseren Kunden. Ich bin ein Optimist, ich will nicht ausschließen, dass es bei dem einen oder anderen zu einem Ausfall kommt, aber diese Einschätzung der FMA teile ich nicht.

Auch der Begriff der Zombieunternehmen, also Betriebe, die nur aufgrund von Stützungsmaßnahmen überleben, ist derzeit häufig zu hören. Können Sie mit dieser Bezeichnung etwas anfangen?
Das ist kein schöner Begriff, aber ein Funken Realität ist da schon dabei. Und zwar bei jenen Unternehmen, die bereits vor Corona an der Grenze waren und die jetzt an der Maschine hängen – und für die es aus ist, wenn diese Maschine abgedreht wird.

Hat dafür auch die Nullzinspolitik der Notenbanken den Boden aufbereitet?
Ja, zu 100 Prozent. Wie gesagt, hier geht es vielfach um Unternehmen, die schon vor Corona Probleme hatten und die es ohne diese jahrelange Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die wir immer kritisiert haben, gar nicht mehr geben würde. Da wurden schon einige Unternehmen sinnloserweise durchgefüttert – und das sind zum Teil auch die, die echte Probleme bekommen, wenn die Programme auslaufen.

Die Raiffeisen-Landesbank hat zum Halbjahr einen Verlust ausgewiesen, Sie sind dennoch zuversichtlich, dass sich das im Gesamtjahr drehen lässt. Woher rührt dieser Optimismus?
Das Halbjahresergebnis hat zu einem großen Teil auch mit den internationalen Bilanzierungsregeln nach IFRS zu tun, dadurch mussten wir aufgrund der derzeitigen konjunkturellen Situation höhere Vorsorgen treffen. Diese volkswirtschaftlichen Indikatoren werden sich aus meiner Sicht aber nicht in dem Ausmaß manifestieren. Wir haben Oktober und ich sehe derzeit keine ganz großen Risiken.

Wie läuft – abseits der Krisenbewältigung – eigentlich das normale Bankgeschäft?
Das operative Geschäft läuft erstaunlich gut, wir hatten im ersten Halbjahr ein Kreditwachstum von 4,4 Prozent, in guten Bonitäten. Die Nachfrage ist da.

Es wird also auch investiert?
Viele Unternehmen stellen sich gerade jetzt neu auf, orientieren sich neu, investieren also auch antizyklisch – das sind auch die, die aktiv in die Zukunft schauen. Wer nur über die schwierige Lage lamentiert und nichts tut, wird es schwer haben. Das politisch sinnvollste Instrument sind daher aus meiner Sicht die Investitionsprämien. Sie wirken besser als irgendwelche Garantien und Stützungen, denn da verwaltet man nur das Bestehende, hier gibt man Anreize, etwas Neues zu machen.

Wo wird derzeit investiert?
Im digitalen Bereich und im Nachhaltigkeitsbereich. Die Digitalisierung erlebt jetzt einen enormen Rückenwind, allen Unternehmen, die sich bisher nur wenig damit beschäftigt haben, ist klar geworden, jetzt müssen sie, sonst sind sie weg.

Auch im Bankensektor?
Ja, ganz eindeutig, das ist ein Katalysator für die Digitalisierung, wir sehen ja, dass Besuche am Bankschalter drastisch zurückgehen, während die Besucher im digitalen Bereich massiv zunehmen.

Coronabedingt wird es heuer keinen traditionellen Weltspartag mit Empfängen geben. Gibt es ein Alternativprogramm?
Ja, wir bieten den gesamten Monat über in allen Bankstellen die Oktober-Gespräche an. Statt großer Kundenempfänge verstärken wir persönliche Beratungsgespräche. Wir sehen, dass das aufgrund vorhandener Unsicherheiten sehr wichtig ist. Die Kunden haben das Bedürfnis, sich über finanzielle Angelegenheiten beraten zu lassen.

Die Zinssituation für Sparer ist und bleibt trist. Was raten Sie?
Die Veranlagungspyramide ist immer noch wichtig und für den Notgroschen ist das Sparbuch oder das digitale Sparen noch immer zentral. Auch der Bausparer hat trotz der Zinssituation immer noch Saison. Wenn es dann um weiterführende Anlageprodukte geht, braucht es Beratung – stark im Trend liegen Nachhaltigkeitsfonds. Und gerade hier sehen wir uns gut aufgestellt. So einen Fonds in Form eines Ansparplans zu machen, halte ich nach wie vor für gescheit, auch um Einstiegszeitpunkte zu streuen.

Seit Jahren ist von Banken zu hören, dass die Regulierungen durch die Aufsicht überschießend sind. Dann passiert so etwas wie der Skandal um die Commerzialbank in Mattersburg. Braucht es also doch mehr Regulierung?
Es gibt natürlich Stimmen, die sagen, jetzt müssen wir noch mehr Regulierungen einführen, ich glaube das nicht. Die Aufsicht sollte sich stärker auf wesentliche Dinge beschränken und nicht auf Beistriche. Es liegt vielleicht sogar an der Überregulierung, dass es dann zu solchen Dingen kommt, weil der Blick auf das große Ganze offensichtlich nicht mehr da ist.

Schadet der Skandal in Mattersburg dem Finanzplatz Österreich?
Natürlich. Denn unweigerlich heißt es jetzt wieder die Banken – und es wird dann leider zu wenig differenziert, welche Institute das sind. In der Öffentlichkeit sitzt man dann im selben Boot. Das schadet den Banken, dem Finanzplatz und ganz allgemein dem Vertrauen.

Zuletzt wurden Rufe nach einer Reform der Einlagensicherung laut, sehen Sie auch Bedarf?
Ja, den gibt es. Es ist zwar nicht populär, wenn man sagt, dass sich Kunden vorher genauer ansehen sollten, zu welchen Banken sie ihr Geld wirklich tragen. Ich will das Unwort Selbstbehalt da gar nicht strapazieren, klar ist aber, ganz entmündigen sollte man den Konsumenten auch nicht.