Die Botschaften des E-Commerce-Day Anfang September in Wien, eines der wichtigsten Treffen der Handelsbranche im Jahr, waren eindeutig. Wie der Lockdown im Frühjahr das Einkaufsverhalten der Österreicherinnen und Österreicher veränderte, fasste Harald Gutschi, Sprecher der Unito-Gruppe (Universal, Otto, Quelle), in zwei Sätzen zusammen: „Das war der digitale Urknall. In drei Monaten erlebten wir eine Entwicklung, die sonst fünf bis zehn Jahre dauert.“

Kathrin Nusser, Flaconi-Vorständin, unterstrich ebenfalls: „Durch Corona kam es zu einer wahnsinnigen Beschleunigung des Online-Anteils im Handel.“ Dass Flaconi, 2011 gegründetes, reines E-Commerce-Unternehmen in Berlin, da zu den großen Gewinnern zählt, versteht sich. Über das Jahr rechnet die Finanzchefin des Kosmetikhändlers mit bis zu 30 Prozent Zuwachs. „Online pure“ – Handel ohne physische Präsenz – „ist in Deutschland stark wachsend“, sagte Nusser.

Kathrin Nusser (oben) beim E-Commerce-Day
Kathrin Nusser (oben) beim E-Commerce-Day © Handelsverband/Tim Dornaus

Das wissenschaftliche Fundament lieferte Wolfgang Ziniel. Die elfte E-Commerce-Studie der KMU Forschung Austria zeigt eine „starke Dynamik“ hin zum Online-Einkauf, getrieben von einem Boom beim Shoppen mit dem Smartphone – und das, obwohl sich die Untersuchung Ziniels noch mehr mit 2019 als mit 2020 beschäftigte.

Zwei Drittel kaufen im Netz

Laut der Studie kaufen knapp zwei Drittel (64 Prozent) der österreichischen Bevölkerung ab 15 online ein, ein Drittel nutzt dafür das Smartphone. Um die Relation nicht zu verlieren: 89 Prozent der einzelhandelsrelevanten Konsumausgaben werden „auf der Fläche“ getätigt, wie stationäre Geschäfte im Händlerjargon heißen.

Dazu kommt, dass auch heuer etablierte Händler auf Flächenexpansion setzten – wie Kastner & Öhler im Kaufhaus Tyrol in Innsbruck oder der auf junge Leute abzielende Board- und Lifestyle-Spezialist Blue Tomato, der vor Kurzem in Vöcklabruck Shop Nummer 52 aufsperrte. Was die beiden Unternehmen allerdings noch verbindet, sind starke Online-Präsenzen.

Einig sind sich Experten darin, dass sich der Trend, den Corona verstärkte, nicht umkehren wird. Eine düstere Prognose wagt Gutschi: „In 10 Jahren wird die Hälfte der heutigen Handelsfläche weg sein.“ Anders sagt es Martin Wäg, Vorstand von Kastner & Öhler: „Wir glauben an das Miteinander von Fläche und Web. Es ist keine Frage von Entweder-oder.“ Auch wenn der Online-Umsatz 2020 „gewaltig gewachsen“ ist, kompensierte er nicht die Ausfälle in den Filialen.

Wenig Interesse

Ist der heimische Handel also fit für die Zukunft? Die Antwort lautet: noch nicht. Vor allem kleine und mittlere Betriebe haben online noch immer Aufholbedarf. Aktuell sind, laut Zahlen des Wirtschaftsministeriums, erst 20 Prozent der heimischen Händler im E-Commerce tätig.

Andere Erhebungen gehen sogar von noch weniger gelebtem Interesse am digitalen Handel aus. In Kärnten etwa brachte eine Umfrage unter Wirtschaftstreibenden zutage, dass überhaupt nur zwölf Prozent aller befragten Händler Interesse an einer Online-Plattform hätten. Rainer Will, Chef des Handelsverbandes, nennt gar die Zahl von lediglich 10 Prozent: „Das“, gibt er unumwunden zu, „lässt mich verzweifeln.“

Dahinter steckt freilich nicht nur Verweigerung. Aufbau und Pflege eines Webshops kosten Ressourcen, über die KMUs oftmals nicht verfügen. Die Wirtschaftskammer rief vor einigen Jahren die Initiative „Go online“ ins Leben – mit Teilerfolgen. Es ist enorm schwierig, verlorenes Terrain aufzuholen. Doch bleibt es das Ziel, den enormen Kaufkraftabfluss zu bremsen. Zwischen 50 und 60 Prozent der heimischen Onlineshopper bestellen ihre Käufe im Ausland, Tendenz zuletzt leicht sinkend.

Rainer Will, Handelsverband
Rainer Will, Handelsverband © Handelsverband/Tim Dornaus

Für Gutschi (Unito) geht der Trend in Richtung Online-Marktplätze. Sie erhöhen zumindest die Auffindbarkeit von Webshops, von denen es in Österreich derzeit 13.000 gibt. Auch hier hat Österreich Aufholbedarf. Zwar wuchs die Plattform Shöpping.at der Post – bis Corona unter der Wahrnehmungsgrenze – 2020 wie noch nie, aber es bleibt weiterhin viel Luft nach oben.

Andererseits lassen sich zunehmend österreichische Unternehmen finden, die zuallererst auf den Verkauf im Internet setzen und damit auch erfolgreich sind. Nuki aus Graz etwa, europäischer Marktführer bei der Nachrüstung mit smarten Türschlössern, kam auch deswegen verhältnismäßig gut durch die Coronakrise. Brach die Nachfrage zu Beginn des Lockdowns schnell auf 50 Prozent des gewohnten Niveaus ein, laufe das Geschäft mit den per Smartphone steuerbaren Türschlössern „seit Juni wieder ziemlich normal“, erzählt Nuki-Chef Martin Pansy. Das habe vor allem damit zu tun, dass schon jetzt 80 Prozent der Bestellungen online abgewickelt werden. Am Ende des heurigen Krisenjahres wird das Jungunternehmen wohl auch deswegen auf Wachstum zurückblicken können.

Martin Pansy, Nuki
Martin Pansy, Nuki © Ballguide

Das schwedische „FinTech“ – so werden Start-ups im Bereich der Finanzdienstleistungen genannt – Klarna versuchte herauszufinden, wann österreichische Onlineshopper was einkaufen. Zwei der eindeutigsten Ergebnisse bei der Suche nach den „Golden Hours“ mit den stärksten Umsätzen: Der Sonntag gilt als mit Abstand beliebtester Tag der österreichischen Onlineshopper. Und bei acht von zehn von Klarna bestimmten Produktgruppen wird am späten Nachmittag oder frühen Abend am meisten gekauft. Ein Ausreißer ist übrigens die Gruppe „Automotive“, wo sich digitale Käufer am ehesten montags entscheiden.

Was online nach wie vor selten gekauft wird, sind Lebensmittel. Eine Erhebung von Regiodata geht hier von einem Anteil von 2,8 Prozent aus. Vor Corona waren es 2,5 Prozent. Auch hier tut sich also etwas – und Insider rechnen in den nächsten Jahren mit stärkerem Wachstum und Verzahnung.