Verknappung lebenswichtiger Medikamente und gehorteter Schutzkleidung, stillstehende Werke wegen gekappter Lieferketten, Abhängigkeit von Schlüsselindustrien durch Protektionismus von China bis USA. „Die Coronakrise zeigt, wie fragil unser globales Wirtschaftssystem derzeit ist. In den letzten Jahrzehnten haben wir alles auf Effizienz getrimmt. Insbesondere die internationalen Wertschöpfungsketten sind rein auf Kostenreduktion ausgerichtet und in Krisen daher besonders anfällig und fragil“, sagt der Osttiroler Vordenker René Schmidpeter, der vor der viel zitierten Rückkehr zur Normalität warnt: „Die aktuelle Krise zeigt die immer größer werdenden Risiken einer asymmetrischen globalen Entwicklung auf. In einer Welt, in welcher die Wirtschaft immer internationaler wird und die regionalen Unterschiede immer größer werden. Es ist daher irritierend, wie viel Energie wir derzeit vergeuden, um zu versuchen, nach der Krise wieder zum Alten zurückzukehren. Die alten Strukturen haben schon vor der Krise erhebliche Verschleißerscheinungen gezeigt und sind auch gar nicht mehr wieder herstellbar“, so der Wirtschaftsprofessor an der Cologne Business School. Daher gehe es jetzt „nicht mehr um die globale Verbreitung der alten Handlungsmuster, sondern um eine regional individuelle Strukturanpassung für eine neue nachhaltige Globalität“.

„Die Welt, die wir bisher kannten, löst sich vor unseren Augen auf“, sagt der Zukunftsforscher Daniel Dettling. Infolge Corona könne das Negativszenario eine „Deglobalisierung“ sein mit Abschottung und ökonomischem Nationalismus. Hingegen könnte das positive Szenario mehr Resilienz für robuste Systeme sein, schildert der Gründer des Instituts für Zukunftspolitik in Berlin bei Gabor Steingart als Perspektive eine „Glokalisierung“ mit digitalem Ruck, welche lokale Plattformen und globale Kooperationen vereint, mit Europa, Klimaschutz auf die Fahnen geheftet, als Vorreiter.

„Es gibt viele gute Gründe, über die Glokalisierung im eigenen Betrieb nachzudenken. Den Begriff gibt es in der Wissenschaft schon mehrere Jahre, es hat bisher nur niemanden interessiert“, sagt der Geschäftsführer von Fraunhofer Austria, Wilfried Sihn. Die Coronakrise habe aufgezeigt, „dass die Wege, die wir bisher beschritten haben, aufgrund der starken Abhängigkeiten mit Risiken behaftet sind, und diese Risiken wachsen mit jedem Kilometer, den der Zulieferer vom Werk entfernt ist oder das Werk vom Kunden.“

Lohnt sich das wirklich?

Eine Umfrage des Fraunhofer Institutes ergab, dass rund 40 Prozent befragter Betriebe in der Coronakrise bei Planzahlen und Produktionsabläufen Abweichungen von 50 bis 100 Prozent erlebten. Zumindest rund 20 Prozent wollen mit Lokalisierung und Insourcing krisenunabhängiger werden. „Will man eine zukunftsfähige Strategie entwickeln, die sowohl nachhaltig und klimafreundlich als auch resilient gegenüber Krisen ist, so muss man genau überlegen, wo es sich wirklich lohnt, die Abhängigkeit im Sinne einer Kostenersparnis beizubehalten“, erklärt Sihn.

Die Nachhaltigkeit gehe dabei Hand in Hand mit einer erhöhten Resilienz. Innovationen würden eine besondere Rolle spielen. Automatisierung erlaube, lokal günstig zu produzieren und eine auf digitale Daten basierte Fabrikplanung, die alle wesentlichen Faktoren einschließlich Emissionen berücksichtigt und optimiere, so Sihn.

"Eine neue Gründerzeit"

Schmidpeter sieht sogar „eine neue Gründerzeit, welche tiefgreifende Innovationen und regionale Anpassungseffekte mit sich bringen wird. Dabei gewinnen gerade kleinräumige Strukturen an Bedeutung. Die Solidarität und der Zusammenhalt in einer Region werden entscheidend sein, um unsere Wirtschaftsräume zu transformieren und jeden Einzelnen mitzunehmen.“ Anstelle von Kaufprämien und kurzfristigen Konjunkturprogrammen brauche es eine langfristige Vision zur nachhaltigen Transformation der regionalen Wirtschaftsräume. „Die alte Ethik des Trade-off-Denkens – Globalisierung gegen Regionalisierung – funktioniere nicht mehr. Wenn wir in Österreich CO2 emittieren, entstehen Probleme in der Südsee. Oder wenn in Brasilien der Regenwald gerodet wird, hat das Konsequenzen für das Weltklima und damit für uns alle. Wie die Chinesen mit Wildtieren umgehen, beeinflusst auch das Leben in unseren abgelegensten Alpentälern. Globalisierung und regionales Leben sind nicht mehr voneinander zu trennen.“

Der Klimawandel werde in allen Regionen weltweit weitere fundamentale Veränderungen abverlangen. Schmidpeter: „Die Beispiele zeigen, dass die Idee, die Globalisierung zurückzudrehen, naiv ist und überhaupt keine Option darstellt. Mehr denn je brauchen wir die weltweite Zusammenarbeit, um die großen Menschheitsprobleme gemeinsam zu lösen.“

„Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen sollten uns als Warnung dienen, den Klimawandel nicht zu ignorieren. Auch er ist eine globale Herausforderung, die wir nur gemeinsam bewältigen können“, sagt Herta Stockbauer, Vorstand der BKS Bank. Die Krise eröffne die Chance, Konjunkturpakte nachhaltig auszurichten. „Dazu zählen nicht nur Investitionen in den Klimaschutz, um die Ziele des Green Deal und das 1,5-Grad Klimaziel zu erreichen, sondern auch Investitionen in das Gesundheitswesen und eine regional starke Infrastruktur.“ Dazu wolle die Bank mit Green Bonds und nachhaltigen Finanzierungen beitragen. Europa sei gut beraten, kritische Produktionen nicht abwandern zu lassen.

Diesen ,Moment‘ sollten wir nutzen ...

Für den Schutz systemkritischer österreichischer Unternehmen gegen ausländische Übernahmen setzt sich schon länger Infineon-Austria-Vorstandschefin Sabine Herlitschka ein. „Dafür wurde jüngst ein neues Investitionskontrollgesetz in Begutachtung gebracht.“ Rufe nach mehr Nachhaltigkeit, dem Schutz lokaler Kompetenzen oder einem Digitalisierungsschub würden viele Diskussionen als erste Lehren aus der Coronakrise prägen. „Diese Themen sind mit einem neuen, breiteren Bewusstsein in unserem Hier und Jetzt angekommen. Man spürt den Drang, etwas verändern zu wollen.“ Ob eine diskutierte Verknüpfung staatlicher Unterstützungen mit Umweltzielen die Lösung sei, bleibe offen. Herlitschka: „Klar ist: Eine Krise kann die Kraft schaffen, mutig die richtigen Dinge anzugehen. Diesen ,Moment‘ sollten wir nutzen, denn was wir heute tun, entscheidet nachhaltig darüber, wie die Welt morgen aussieht.“