Wie geht es Ihnen und Ihren Leuten in dieser Extremsituation?
Alexander Friesz: Wir haben Gott sei Dank keine Coronafälle im Betrieb und ich weiß als Präsident des Zentralverbandes Spedition & Logistik auch noch von keinem aus der Branche, das ist die größte Erleichterung. In der Speditionsbranche leisten jetzt Zehntausende unter schwersten Verhältnissen tolle Arbeit und müssen, so wie auch die 3700 Mitarbeiter meines Unternehmens, davon 500 Fahrer, durch extreme Umstände durch. Die Fahrer schützen sich mit Masken und Handschuhen, machen keine Be- und Entladung. Mit Desinfektion und Abstand kann wenig passieren.

Wie läuft der Warenverkehr mit Hochrisikogebieten wie Italien?
Die Warenströme sind mit Partnern aufrecht, aber mit Hürden. Fahrer werden teilweise in Kroatien in Quarantäne genommen, nur weil sie aus Österreich kommen. So haben wir bald kein Personal mehr.

Droht der Kollaps an gesperrten Grenzen in weiten Teilen Europas?
Die Politik spricht vom freien Warenverkehr, dabei haben wir größte Probleme an allen Grenzen. Am neuralgischsten ist es in Richtung Osteuropa. In Ungarn ist ohne ewig lange Wartezeiten nicht durchzukommen. Für die Fahrer wird dort nicht gesorgt. Mit Italien hat man schon verstanden, dass 80 Kilometer Stau an der Brennergrenze nicht gehen, denn dann steht der Laden.

Was wären akute Maßnahmen?
Die Aufhebung des Wochenendfahrverbotes bis 7,5 Tonnen ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen es für 40-Tonnen-Lkw sowie auch die Öffnung der Sonntagsarbeitszeit, damit wir Fahrzeuge ent- und beladen können. Im Extremfall müssen Regierung und Gewerkschaft flexibel sein.

Corona kommt mit Wucht aus China. Lieferketten erweisen sich verwundbar. Die ersten Lehren?
Das Problem ist in ganz Europa, ja global angekommen. Nun zeigt sich die Abhängigkeit von China und Südostasien. Es ist zu überdenken, ob es klug ist, dass fast 100 Prozent der Antibiotika in China und Fernost produziert werden. Da läuft was falsch. Die Einschränkungen bei Luft- und Seefracht führen dazu, dass viele Produktionen erheblich zurückgefahren werden. Wenn Firmen wie Magna, Opel, KTM, Atomic, Porsche Österreich die Produktion einschränken, geht es nur noch um Grundversorgung für Lebensmittel- oder Kleinindustrie. Dagegen steigen Mengen im Paketdienst an.

Kurzarbeit in der Branche?
Wir haben viele Überstunden und Urlaube abzubauen. Es wird auch Kurzarbeit geben. Von Kündigungen will ich nicht reden. Es wird eine Zeit nach Corona geben. Wir suchen händeringend Personal. Die Maßnahmen der Bundesregierung sind weitblickend. Gerade kleine Frächter werden nur überleben, wenn man ihnen unbürokratisch hilft. Kleinunternehmer sind die Säule für das System.

Wird Corona den globalen Güterverkehr radikal verändern?
In diese Glaskugel will ich nicht schauen. Die Branche ist sehr gut auf die Situation eingestellt. Die hohe Abhängigkeit Richtung Fernost wird viele europäische Staaten und Unternehmen zum Nachdenken zwingen.
Flugfracht trudelt und Containerschiffe grundeln bedrohlich.
Der Frachtflugverkehr funktioniert noch gut. Viel Fracht fliegt aber mit Passagierflugzeugen im Laderaum mit. Das fällt komplett weg. Der Containerverkehr mit China steht im Moment und mangels Container steht die Transportkette zurück. Es ist aber auch Bedarf nicht da.

Forciert das Virus die Schiene?
Das glaube ich nicht, sie kann nur zu einem gewissen Prozentsatz Ersatz sein. Wir Spediteure sind das Reisebüro des Verkehrs, bei den Kunden ist die Bahn relativ weit hinten, weil sie langsam, unflexibel und teuer ist. Wir erwarten bis 2030 eine Steigerung des Güterverkehrs um 30 Prozent. Wenn wir nur die Steigerung auf die Schienen verlagern, würde das Schienensystem zusammenbrechen. Bahntransporte von Adriahäfen zu Hinterlandterminals sind gut, aber nicht für die ÖBB exklusiv.

Der globale Verkehr wird einmal autonom und e-mobil sein?
Der Logistikablauf geht weitgehend papierfrei digital. Bei autonomen Lkw bitte auf dem Boden bleiben, dafür fehlt das 5G-Netz. Eine Ladeinfrastruktur fehlt auch noch bei Wasserstoff, der bei 40-Tonnen-Lkw eher Zukunft hat als E-Mobilität bei Lkw. Die ist bei Klein-Lkw bis 3,5 Tonnen für Stadtzustellung in Städten sinnvoll. Ein Euro6-Diesel-Lkw ist sauberer als so mancher Pkw auf den Straßen.

Mit Corona erfährt der oft geschmähte Verkehr Wertschätzung als Blutader für uns alle?
Ich hoffe, dass jetzt erkannt wird, welche Bedeutung die Logistik und Güterverkehrsbranche hat. Ohne uns geht überhaupt nichts mehr. Dann funktioniert auch die Grundversorgung nicht mehr. Die Leute jammern schon, wenn sie etwas im Supermarkt nicht finden, weil einer 20 Packerln nimmt. Muss die Butter aus Irland kommen? Wir können alles regionaler zurückfahren, aber die Bevölkerung sollte für Logistik und Transport mehr Verständnis haben und nicht nur über Lärm fluchen oder darüber, dass 24 Stunden gearbeitet werden müsse. Wenn wir stehen, steht alles.