In seinem Büro neben der Bundesstraße in Gratkorn erzählt Walter Pietsch die Anekdote von Albert Einsteins Reisepass mit diebischer Freude. Wie er das Dokument des 1955 verblichenen Physikers, das im Historischen Museum Bern in einem Glaskubus ausgestellt ist, legal kopieren durfte, die Reproduktion dem Original aber so nahe kam, dass die Schweizer Behörden damit nicht mehr einverstanden waren und Auflagen erteilten. „Wir mussten es so drucken, dass Original und Kopie mit freiem Auge voneinander zu unterscheiden sind“, erklärt Pietsch.

In berühmten Archiven

Die Geschichte illustriert: Der 57-jährige Steirer zählt zu den weltbesten und gefragtesten Spezialisten für Reproduktionen von historisch relevanten Dokumenten und jahrhundertealten Handschriften, die unzugänglich für die Öffentlichkeit in streng gehüteten Archiven lagern. Im Vatikan, der St. Petersburger Eremitage, der British Library, im Metropolitan Museum New York und an ähnlich berühmten Horten der Kunst darf Pietsch so nah an die Originale wie sonst wenige.

Albert Einsteins Schweizer Pass ist in Bern im Historischen Museum in einer Dauerausstellung zu besichtigen
Albert Einsteins Schweizer Pass ist in Bern im Historischen Museum in einer Dauerausstellung zu besichtigen © Historisches Museum Bern/Christine Moor

Das Ergebnis der Arbeit hält Pietsch dann in der Druckerei Styria Print in Händen. Diese Woche führte er es zur Frankfurter Buchmesse. Unter den tausenden dort präsentierten Titeln stechen die „Wiener Genesis“ und das „Stammheimer Missale“ wohl hervor.

Der Atem der Geschichte

Die „Wiener Genesis“ aus dem 6. Jahrhundert „überliefert den ältesten erhaltenen biblischen Bilderzyklus und verweist auf die Wiege des Christentums im östlichen Mittelmeerraum“, schreibt der Luzerner Spezialverlag Quaternio über die „prunkvolle Handschrift“, die von Buchmalern in Antiochia in der Provinz Syria geschaffen wurde.

Hingegen ist das „Stammheimer Missale“ um 1170 im Benediktinerkloster St. Michael in Hildesheim entstanden; es enthält alle Gesänge, Gebete und Lesungen des Kirchenjahres in St. Michael und diente dazu, die Heiligsprechung von Bischof Bernward von Hildesheim, dem Klostergründer, im Jahr 1193 zu befördern.

Kopien um tausende Euro

Sowohl die „Wiener Genesis“ – das Original ist in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt – als auch das „Stammheimer Missale“ aus dem Getty Museum in Los Angeles wurden von Pietsch bzw. der Styria-Print-Marke Platinium für Quaternio reproduziert. Platinium steht in der Styria Print, die zur Salzer-Gruppe gehört, für besondere Druckkunst.

Selbst die Kopien sind ein Vermögen wert. Die Auflagen betragen jeweils wenige hundert Stück, sind limitiert, nummeriert und kosten pro Band oft über 10.000 Euro. Das 2012 von Platinium faksimilierte Reichsevangeliar (Auflage 333 Stück) schlug sogar mit 33.000 Euro zu Buche. Die Abnehmer sind Sammler und Institutionen. Die Frankfurter Buchmesse ist ein Treffpunkt dieser Nische mit rund 25 Anbietern.

Pietsch, aus Lieboch gebürtig, wurde bereits als Lehrling zum Schriftsetzer von alten Handschriften infiziert: „In einer Bibliothek habe ich das gesehen und gesagt: ,Das will ich machen‘.“ Graz war dafür ein guter Boden, denn mit dem Verlagshaus Adeva und Paul Strutzl gab es früh einen international gefragten Pionier für Faksimiles und das entsprechende Wissen, auf dem Pietsch aufbauen konnte. Er erforschte und verbesserte Jahr für Jahr die Technologie. Einer der größten Experten auf dem Gebiet, den Pietsch auch persönlich kennenlernen durfte, war Umberto Eco ("Der Name der Rose").

Zu Gast im Schloss Windsor

Seine Arbeit führte Pietsch auch schon einmal in den privaten Leseraum von Queen Elizabeth auf Schloss Windsor. Dort war das von Platinium reproduzierte Sobieski Stundenbuch präsentiert worden. Ein anderes Mal stellte der Steirer ein Faksimile einer Urkunde aus einem bayrischen Kloster her. Die deutschen Bischöfe schenkten die Arbeit dem damaligen Kirchenoberhaupt Papst Benedikt zu dessen 80. Geburtstag.

Im folgenden Video wird am Beispiel der Codex Gisle erklärt, wie ein Faksimile entsteht.

„Es ist immer wieder eine Spielerei. Wir probieren Dinge aus und entwickeln uns so weiter. Dabei hat uns die Digitalisierung sehr geholfen. Es ist heute viel mehr möglich vor als vor 10 Jahren“, sagt Pietsch. Es gehe dabei nicht um die besondere Druckmaschine, sondern „um das Know-how in der Anwendung“. Das heißt, die Meister-Kopierer sind nicht leicht zu kopieren.

"Eine Forschungsarbeit"

Dennoch sei der technische Anspruch hoch. „Jedes Faksimile ist eine Forschungsarbeit.“ Das beginnt mit dem Abfotografieren der einzelnen Seiten, wobei auch diese Technik erst in langer Tüftelei zur Perfektion gebracht wurde. Schließlich müssen Papier, Farben, Gold- und Silberverzierungen und die Haptik so weit wie möglich mit dem Original übereinstimmen.

Walter Pietsch zeigt faksimilierte Blätter der "Wiener Genesis"
Walter Pietsch zeigt faksimilierte Blätter der "Wiener Genesis" © Gery Wolf

Ein Beispiel, welch enormer Aufwand hier betrieben wird, liefert die "Wiener Genesis". Im Lauf der Jahrhunderte sind einzelne Buchstaben und Wörter aus dem dünnen Pergament herausgebrochen. In den Faksimiles werden auch diese Fehlstellen mit einem Laser aus den Druckbögen gestanzt. Eine Arbeit, die höchste Präzision erfordert.

Am Flughafen festgehalten

Mit dem Andruck begibt sich Pietsch noch einmal zum Original, um eventuelle geringe Abweichungen noch zu korrigieren. Dabei ist es dem Steirer in St. Petersburg vor einigen Jahren einmal passiert, dass er am Flughafen drei Stunden lang festgehalten wurde. „Der Beamte hat das Faksimile in meinem Handgepäck für das Original gehalten und geglaubt, ich hätte es aus dem Archiv gestohlen.“ Ein Kompliment. Der Irrtum konnte aufgeklärt werden. „Das Flugzeug aber ist ohne mich nach Hause geflogen.“