Viele Jahre arbeitete Dietmar Graffius für einen US-Konzern, der Laborausstattungen verkauft. Mit 62 Jahren schied der Grazer aus, doch ganz aus dem Arbeitsleben zurückziehen wollte er sich nicht. „Pension? Schön und gut. Aber nach sechs Monaten im Garten fehlt etwas.“

Damit war Graffius ein Fall für WisR (sprich: weiser), der ersten Online-Jobplattform, die Personen ab 59 Jahren an Unternehmen vermittelt. Im oftmals ungenutzten Potenzial der Senioren hatten Klaudia Bachinger, Carina Roth und Martin Melcher eine Lücke erkannt und 2017 das Start-up gegründet, mit dem sie vor Kurzem auch nach Deutschland expandierten.

Mystery Shopping

„Nicht älter, sondern weiser“, lautet das Firmenmotto. „In der Wirtschaft ist das Alter ein Riesenthema“, sagt Bachinger. Selten ist es aber positiv besetzt – Stichwort: steigende Arbeitslosigkeit über 50, oder, wie vom Nationalrat vor der Wahl beschlossen, die neue „Hacklerregelung“ für Männer ab 62.

Für Graffius kein Thema. „Ich möchte aktiv sein, nicht zum alten Eisen gehören.“ Einer seiner ersten Jobs, die er von WisR vermittelt bekam: Mystery Shopping für BMW.

Mittlerweile aber hat Graffius einen neuen, fixen Job: Er ist Key Account Manager für WisR, betreut Unternehmen, die sich einen Pool an ehemaligen Mitarbeitern aufbauen wollen, um in Spitzenbedarfszeiten auf sie zurückgreifen zu können.

Immer mehr Ältere

Das stichhaltigste Argument, das Graffius und Bachinger vorbringen können, ist der demografische Wandel. „Wir werden alle älter und auch gesünder.“ 2030, sagt die Statistik Austria, werden in Österreich rund 44 Prozent der Bevölkerung über 50 Jahre alt sein, das heißt, dass sich zum bestehenden Fachkräftemangel auch eine Arbeitskräftelücke auftut. Dieser Trend werde Österreich, aber auch den Rest der Welt verändern, ist man bei WisR überzeugt.

400 Firmen, 4800 Jobsuchende

Aktuell haben sich auf der Plattform rund 4800 Arbeitssuchende und mehr als 400 Firmen registriert. Die Datenbank wachse jede Woche um bis zu 200 Personen und um zehn Unternehmen. In der Steiermark und in Kärnten zusammen haben sich bis dato 300 „Senior Talents“, wie sie bei WisR genannt werden, gemeldet sowie 25 Firmen.

Aus der Wirtschaft kommen viele positive Stimmen. So sieht sich Markus Tomaschitz, Personalverantwortlicher von AVL List, als „überzeugter Botschafter“ der Idee. „Kompetenzen bleiben über das Pensionierungsalter hinaus erhalten. Unternehmen profitieren ungemein von dieser Erfahrung.“ Katrin Bointner von „Resch und Frisch“ (Wels) meint angesichts des Fachkräftemangels, dass „es fast schon als fahrlässig zu bezeichnen ist“, auf die Senioren zu verzichten. Der Vorteil für Betriebe liege auch in geringeren Kosten, wenn den Unternehmen Wissen erhalten bleibe, betont die Plattform.

"Nicht bei mir"

Doch erkennt Graffius auch Widerstände. „Bei sehr großen Konzernen gehören Pools mit ehemaligen Beschäftigten, die reaktiviert werden können, zur Unternehmenskultur.“ Andererseits würden sich viele Unternehmen noch zurückhalten. „Sie finden das Konzept gut, sagen aber: ,Nicht bei mir‘. Da sind die Köpfe der Mitarbeiter weiter als die meisten Betriebe. Wir stehen am Anfang und müssen Überzeugungsarbeit leisten.“ Nicht so bei den Investoren. Seit der Gründung konnte WisR die Geldgeber bereits in zwei Finanzierungsrunden überzeugen.