Die Stimmung in der Katib-Farsi-Bibliothek in Graz, der ersten persischsprachigen Bücherei der Steiermark, ist nervös. Sechs afghanische Frauen und Männer tauschen sich über ihre Heimat aus - und viele von ihnen fürchten, dass ihr Herkunftsland einer düsteren Zukunft entgegengeht. Sie zählen zu jenen 4767 Afghanen, die derzeit in der Steiermark leben. 3001 davon haben ihren Lebensmittelpunkt in Graz - wo derzeit nicht nur das meterhohe Foto eines afghanischen Mädchens von Starfotograf Steve McCurry über die Häuser blickt, es gibt eine lebendige Community, ein beliebtes afghanisches Lokal, Supermärkte und sogar eine Cricket-Mannschaft. Mit Sahar Mohsenzada sitzt für die KPÖ eine junge Afghanin im Gemeinderat (hier ihr Kommentar zur Situation in ihrem Heimatland).

„Die Taliban haben die Bevölkerung sehr überrascht“, meint Masomah Regl, die zum Termin in der Katib-Farsi-Bibliothek gekommen ist. Mit einer derart schnellen Machtübernahme habe niemand gerechnet. Die Afghanin kam als Kind nach Österreich und arbeitet heute als Dolmetscherin. Das Versöhnungsversprechen des Taliban-Sprechers sei nicht ernst zu nehmen, die Organisation wisse mittlerweile, sich medial zu präsentieren.

Auch Sharif Mohammadi war verwundert über die schnelle Machtübernahme. Der Grazer bekam als Kind die Schreckensherrschaft der Taliban zu spüren. „Wir dachten zuerst, die Regierung suche mit den Taliban den Dialog, um einen gemeinsamen Nenner zu finden“, so Mohammadi. „Aber mit Terroristen kann man nicht verhandeln. Das sind Maschinen, die nichts kennen oder fühlen, reine Kämpfer“, sagt Regl.

Militärischer Widerstand bei der Eroberung aller großen Städte war so gut wie nicht vorhanden. Fereydun Zahedi hat eine Erklärung dafür: „Das Land wurde zum einen sehr zentralistisch regiert, zum anderen hat die Regierung wenig Einfluss in den einzelnen Provinzen.“ Dazu komme die Korruption innerhalb des alten politischen Systemes, die den Taliban in die Hände gespielt habe.

Darüber hinaus hätte die Armee von der Regierung den Befehl bekommen, nicht zu kämpfen, ist Borhani Roohullah verwundert. Der junge Afghane kam mit der Flüchtlingswelle 2015 nach Österreich und studiert derzeit Gesundheits- und Krankenpflege. Derzeit hofft er auf ein positives Ergebnis beim Aufnahmetest, um im Herbst mit dem Medizinstudium beginnen zu können.

Was ihre Heimat betrifft, fürchtet Dolmetscherin Masomah Regl das Schlimmste: „Das Land wird zunehmend in Armut und Isolation verfallen. Es wird zu Hungersnöten, Unterdrückung von Frauen und Mädchen, öffentlichen Bestrafungen und Morden kommen.“ Sie hat gerade auch  einen dramatischen Hilfsappell an die österreichische Bundesregierung gerichtet.

Khatera Sadr
Khatera Sadr © Ballguide/Richard Großschädl

Nur wenige Straßen weiter sitzt Khatera Sadr. Sie flüchtete 2001 aus ihrer Heimat, gründete den Verein SOMM (Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen) mit und arbeitet als Jugend- und Sozialpädagogin. Sie erzählt von einer Klientin, die aus Sorge um ihre Verwandten nichts mehr essen kann, oder einem jungen Mann, der den ganzen Tag nur noch weint. Noch könne man über das Internet und über Telefon Kontakt zu den Verwandten im von den Taliban übernommenen Land halten, wie lange das noch gehe, sei aber fraglich. Ganz besonders große Sorgen macht sich Sadr um die Frauen im Land: “Ich leide für alle Frauen in Afghanistan, es ist mehr als ein Alptraum.” Ob es eine Hoffnung gebe, an die sie sich klammert? „Dass sich Bundespräsident Van der Bellen zur Haltung Österreichs zu den Abschiebungen geäußert hat, hilft”, sagt sie, „aber Hoffnung ist bei dieser Situation kein passendes Wort.“

Auch im 130 Kilometer entfernten Murau verfolgt Shohibuddin Aman die Lage in seiner Heimat mit. Er flüchtete mit seiner Familie nach Österreich und absolviert derzeit eine Lehre im Hotel Rosenhof. „Es tut mir weh. Es gibt dort keine Freiheit mehr, nur noch Angst. Jetzt haben die Taliban unser ganzes Land und sie können machen, was sie wollen.“