Ein wenig Übung hat Österreich ja schon in der Vorreiterrolle, was Sport betrifft zumindest. Das Gastspiel der Formel 1 in Spielberg war im Frühjahr das erste Sportereignis einer weltumspannenden Serie, eine Art „Blaupause“, auf deren Grundlage in der Zwischenzeit die WM schon beinahe zu einem (guten) Ende gebracht werden konnte. Der Plan für das anstehende Wochenende war ähnlich: Sölden, das Rennen auf dem Gletscher, sollte Vorbild werden für die gesamte Weltcupsaison – und damit irgendwie auch Garant dafür, dass es diese Saison auch wirklich gibt. Denn, wie FIS-Renndirektor Markus Waldner schon vor Wochen meinte: „Heuer geht es ums Überleben.“

Was der Südtiroler damit meinte: Der Skiweltcup kann nur bestehen, wenn er im Fluss bleibt. Eine komplette Absage des Winters samt Ausfall der Ski-WM in Cortina d’Ampezzo, das wäre für den internationalen Skiverband nicht zu verkraften. Kleine (Ski-)Sportarten spüren bereits die Auswirkungen der Pandemie, der Skicross-Weltcup in Innichen etwa musste die Segel streichen. Und nicht wenige behaupten, dass das nicht die letzte Absage gewesen sein wird.

In Sölden, da sind sich aber alle sicher, soll die Ampel auf Grün springen – dabei wäre sie just in der Nacht vor dem ersten Rennen nach Coronamaßstäben beinahe auf Rot gesetzt worden, letztlich wurde es Orange – nach „Nachjustierungen“. Aber selbst das soll den Weltcup nicht ins Wanken bringen, der hat sich in Sölden vier „Blasen“ geschaffen, die – im Idealfall – einander nicht überschneiden und auch keinen Kontakt zur „Außenwelt“ haben. Das mag auch das Problem der „Blaupause“ für den Winter sein, wie Damen-Renndirektor Peter Gerdol erklärt: „Hier in Sölden gibt es keine Touristen, wir haben den ganzen Berg für uns. Auch im Ort selbst sind nur wenige Menschen unterwegs. Auch im November in Zürs/Lech und in Levi sollte das funktionieren. Danach wird es uns nicht mehr gelingen, einen ganzen Berg nur für uns zu haben, weil es Skitouristen geben wird.“ Also wird Sölden zu einem Muster mit Ablaufdatum. Denn das größte Fragezeichen – zugleich Damoklesschwert –, das über dem Weltcup schwebt, ist die Frage: Wie lang kann das andauern? Oder ist es ein Start in eine Coronasaison, deren Ende angesichts der Entwicklungen vorhersehbar ist?

Die Annahme Gerdols, dass über kurz oder lang auch Touristen ins Spiel kommen, sie wäre Balsam auf die Wunden, die man in Sölden gerade leckt. Denn, nur zur Verdeutlichung: An einem „normalen“ Weltcupwochenende mit Ski-Opening werden 20.000 und mehr Nächtigungen gezählt. Dieses Jahr sind es einige Hundert. Der Ort wirkt im Vergleich zu „normalen“ Jahren wie ausgestorben, Orange auf der Corona-Ampel wird daran wohl nichts ändern. Umso schmerzlicher ist, dass es just zum Auftakt der Weltcupsaison tatsächlich schneite.

„Wie es uns geht?“, sagt etwa die Chefin des Hotel Hubertus, in dem eine der vier „Blasen“ untergebracht ist, mit einem Seufzer und erzählt: „Wir hatten gehofft, dass der Herbst gut wird. Nach dieser Woche sollten wieder Touristen kommen. Aber am Dienstag haben die Dänen abgesagt, dann die Niederländer. Und die Deutschen werden jetzt auch nicht mehr kommen, wenn sie sich nach einem Aufenthalt in eine Quarantäne begeben müssen, von der man sich auch durch Tests nicht befreien kann.“ Die Folge: Statt des erhofften Starts in den Winter im Ötztal gab es nur Stornierungen.

Sölden, das weiß auch Tourismusverbandschef Oliver Schwarz, ist im Moment nur Passagier. „Wir sind abhängig von den internationalen Reisewarnungen.“ Das ist allen bewusst. Klar ist aber, dass die Maßnahmen derzeit streng sind: Sperrstunde 22 Uhr, in den Hotels wird mitunter sogar mittels Zertifikat auf die regelmäßige Coronatestung der Mitarbeiter hingewiesen; zumindest in denen, die offen haben. Oftmals klebt auch nur ein DIN-A4-Zettel an der Tür, mitunter handgeschrieben: „Betrieb geschlossen“, heißt es da. Beispiel: Von den 63 Restaurants im Ort Sölden haben derzeit ganze 15 geöffnet. Die Hoffnung lag im Skiweltcup, nun zweifelt man daran, dass die „perfekten Bilder der Fernsehsportart“ wirklich Touristen locken können – weil die eben gar nicht kommen dürfen.

Auch im Skiweltcup sind viele Details noch ungeklärt; etwa die, was passiert, wenn gewisse Nationen nicht in die nächsten Austragungsländer reisen dürften. Denn so, wie sich die Lage darstellt, wird der Zeitpunkt kommen, an dem auch die ausgeklügelte Teststrategie etwa des österreichischen Teams (Testungen bei An- und Abreise von jedem Trainingskurs und Rennen) nicht mehr als Reiselegitimation gilt. Das Sportliche tritt jedenfalls in den Hintergrund. „Ich muss ehrlich sagen, dass ich aufgrund aller Umstände lange nicht so aufgeregt bin wie normal – aber vielleicht liegt das auch an der Routine“, sagt etwa Ramona Siebenhofer.

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Die Steirerin macht sich aber durchaus so ihre Gedanken. „Manchmal“, sagt sie, „mache ich mir schon Sorgen um den Beruf. Denn wenn man nachdenkt, fällt einem erst auf, was alles dranhängt an unserem Zirkus. Und da geht es gar nicht um uns Skifahrer. Ich habe die Polizei als Sicherheitsnetz, absolviere meine Ausbildung auch dort. Aber mein wahrer Verdienst, das ist der Skisport. Es wäre hart, das nicht mehr tun zu können – aber deswegen, weil es meine Leidenschaft ist.“

Noch will sich das aber keiner ausmalen. Der Weltcup soll in seiner Blase Bestand haben über den Winter. Und auch die WM in Cortina will man unter allen Umständen durchdrücken. Bis dahin ist allen klar: Die Maske wird Bestandteil jeglicher Ausrüstung. Und die Cheftrainer der Teams müssen ihren vielen Listen „halt eine weitere hinzufügen“, sagt etwa Damen-Cheftrainer Christian Mitter und meint damit jene der dauernden Coronatestungen und Einteilung dieser Tests. Gewissheit geben auch diese nur bedingt – aber das ist derzeit ja nicht nur ein Problem des alpinen Weltcups. Sondern ein generelles.