Markus Lahmer ist, so könnte man urteilen, auf die Butterseite des Lebens gefallen. Der Wiener ist Sohn einer Unternehmerfamilie und mittlerweile auch Geschäftsführer der Großküche, und er ist ganz nebenbei auch noch Wakesurf-Profi. Für Florian Dungl und Lukas Müller war der Aufprall ein weit härterer. Dungl sitzt nach einem Badeunfall vor 14 Jahren in Italien im Rollstuhl, Lukas Müller stürzte als Vorspringer auf der Skiflugschanze in Bad Mitterndorf und erlitt eine inkomplette Querschnittlähmung.

Aber es war wohl auch Schicksal, dass sich die Wege von Lahmer und Dungl ein zweites Mal gekreuzt haben; auch wenn das erste Mal an der Hotelfachschule in Wien eher ein Nebeneinander denn eine enge Freundschaft war. Wenn Lahmer die Geschichte erzählt, und das hat er wohl schon Hunderte Mal getan, wird man mitgerissen. „Ganz ehrlich? Er hat mir leidgetan. Und mir hat es nicht wehgetan, ihn aufs Boot mitzunehmen“, sagt Lahmer über die Anfänge, aus denen die Idee entstand, den Freund aufs Wasser zu locken. Keine einfache Übung, denn nach dem Badeunfall hatte „Flo“, wie ihn alle rufen, Panik vor dem nassen Element; denn er geht unter „wie ein Stein“, erklärt er.

Doch Lahmer weiß, dass man auch mit Behinderung Wakesurfen kann. Er kennt das von der „World Tour“, den Weltmeisterschaften, wo die Klasse der Wakesurfer mit Behinderung fixer Bestandteil ist. Und er machte sich schlau. „Es ist auch eine Ansichtssache, wie man Dinge im Leben angeht. Ich bin es gewöhnt, täglich Probleme zu lösen. Ich hab nicht nachgedacht, ich hab es gemacht.“


Und Dungl machte mit. Er überwand seine Angst, ließ sich in den „Cage“ wie der Käfig heißt, der auf ein Wakesurfboard geschraubt wird, um dem Tetraplegiker – so heißt es, wenn man an allen Extremitäten gelähmt ist – die Chance zu geben, zu surfen. Schließlich war er auf der Suche nach einem Sport, den auch er ausüben kann. Dungl kämpft für Inklusion, gründete das Magazin „Valid“. „Das Gegenteil von invalid, es ist heute das weltweit führende und einzige Magazin dieser Art“, erklärt er. Davor hat er mit Zdenek Vanek, dem Vater von Eishockey-Star Thomas Vanek, Sledgehockey nach Österreich gebracht, sich (nicht nur) im Sport für Inklusion engagiert. Und Lahmer gibt ihm genau die Werte, oder die Wertigkeit, die an sich selbstverständlich sein sollte.

„Markus sieht meine Behinderung einfach nicht. Weil er nicht im Rollstuhl sitzt, tut er sich auch mit dem Begriff „Barrierefreiheit“ leichter. Nicht nur im Kopf, auch in baulicher Hinsicht“, sagte Dungl. Beispiel: „Manche sagen: In der Marina, da kommt man nicht aufs Boot, weil es keinen Kran gibt. Und Markus? Springt rüber, trägt mich. Das sind Werte, die sich für mich verschoben haben, das ist nicht selbstverständlich.“

Warum ihm das so wichtig ist? „Wenn du ein wertiges Mitglied sein willst, dann heißt das, auch in anderen Dingen Ernst genommen zu werden, nicht um Sachen wie Barrierefreiheit kämpfen zu müssen.“ Natürlich falle auch er mitunter in den „Raunz-Modus“, weil es eben Grenzen gibt. Aber: „Ich will nicht geschont werden, nicht verhätschelt werden. Ich bin vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Aber wenn du bei uns mit dem Rollstuhl ankommst, wirst du nicht als solches gesehen oder akzeptiert.“

Lahmer wäre so ein Verhalten fremd. Man glaubt es ihm, wenn er das sagt. „Inklusion zu beschreiben, das ist schwierig. Der Sport hilft, er hat etwas Ehrliches. Jeder Körper gerät da an seine Grenzen; bei Flo schlagen halt Naturgesetze durch.“ Seine Lebenseinstellung: „Die Summe ist immer 100, bei jedem. Egal, ob im Rollstuhl oder nicht. Jeder Mensch hat Fehler und Schwächen, auch ich“, sagt er und erzählt von seiner Firma und der Erfahrung mit Behinderten, „die immer in anderen Bereichen Fähigkeiten entwickeln, ganz andere Ressourcen haben als wir ‘Gesunden’. Ich könnte seitenlang aufzählen.“ Aber auch, wenn Lahmer gerne erzählt, er redet nicht nur, er tut. „Das wäre die Message: Jeder redet viel, jeder will gut sein und korrekt sein. Aber auf diese Leute bin ich allergisch. Man sollte einfach mehr tun, weniger reden.

Auf eine Sache legt er aber Wert: „Ich bin kein Held. Ich habe sogar die beste Zeit mit Flo, denn es ist unglaublich, was da zurückkommt.“ Sein Appell: „Wenn man einen wo raufzah’n muss: Tut es. Man tut sich nicht weh dabei.“

Der Weg, den Lahmer mit Dungl gestartet hat und der in der Zwischenzeit ein ganzes Team umfasst, ist noch nicht zu Ende. Noch lange nicht. Im Sommer wurden wieder neue Wege beschritten, erstmals gab es in Österreich eine Meisterschaft im Wakesurfen für Tetraplegiker. Einer der drei Teilnehmer war Lukas Müller. Und auch er schwärmt: „Es ist kontrovers: Du setzt dich in einen Käfig, um Freiheit zu erleben.“ Auch sportliche Freiheit natürlich.

Der Kärntner, der als Kind dachte, dass „Leute im Rollstuhl irgendwie seltsam“ seien, sitzt nun selbst in einem. „Und ich will zeigen: Ich habe eine auf die Gosch’n gekriegt, aber seltsam bin ich nicht. Es ist wurscht, ob ich stehe oder sitze. Meine Person ist unverändert. Und ich denke, diesen Zugang wünschen wir uns alle.“ Am besten so, wie es Markus Lahmer beschrieb, auf der Bühne, auf der er als „Sportler mit Herz“ ausgezeichnet wurde: „Inklusion heißt, dass man Momente teilt. Ob mit oder ohne Beeinträchtigung.“