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Salzburg hatte durch die drei positiven Corona-Tests und die damit verbundene Quarantäne für alle Spieler eine lange Vorbereitungszeit für die Champions League. Das war letztlich doch ein gewisser Vorteil für die Mannschaft?
Eine solche Situation habe ich mir nie gewünscht. Für ein Nationalteam zu spielen, ist grundsätzlich wichtig. Wenn unsere  jungen Spieler von Länderspielen zurückkommen, bringen sie auch die Erfahrung mit. Aber im Moment gilt es auch, die Belastung zu kontrollieren und für die Vorbereitung auf die nächsten Gegner war es ein Vorteil.

Nun geht es los mit der zweiten Auflage der Champions League für Salzburg. Wie schätzen Sie die Spielstärke der Gruppengegner im Vergleich zum Vorjahr ein?
Ich glaube, die Gruppe ist schwieriger als im letzten Jahr, da brauchen wir nur die Mannschaften von 2019 und heuer einander gegenüberstellen. Liverpool war im vergangenen Jahr die beste Mannschaft, jetzt ist es der FC Bayern, das ist von der Relation her also sehr ähnlich. Aber ich bin überzeugt davon, dass Atletico Madrid stärker ist als Napoli. Es ist eine Super-Mannschaft in einer großen Liga mit einem tollen Trainer. Und ich glaube auch, dass Lok Moskau besser ist als Genk. Es ist also einfache Mathematik, wenn ich sage, dass die Gruppe schwieriger ist.

Und wie sieht es mit der Qualität der eigenen Mannschaft aus, wenn das Team vom vorigen Herbst als Maßstab herangezogen wird?
Wir sind reifer geworden, auch durch die Erfahrung vom letzten Jahr. Ich glaube, wir haben sehr viel gelernt, wir sind mehr als ein Jahr zusammen. Wir verstehen unsere Art von Fußball ein bisschen besser. Erling Haaland war natürlich super für unser Spiel, aber im Kollektiv sind wir stärker als im vergangenen Jahr. Es herrscht  mehr Klarheit innerhalb der Mannschaft hinsichtlich des Verständnisses für unseren Spielstil und die Taktik. Das Spiel gegen Lok wird eine großartige Gelegenheit für uns werden, das auch unter Beweis zu stellen.

Zuschauer sind zwar zugelassen, aber nur sehr wenige. Wie lange ist eine solche Situation überhaupt noch zumutbar?
Es ist so schade, bei solchen Spielen nur so wenige Fans dabei zu haben. Aber im Moment ist diese Situation für uns schon gewohnter, als wenn viele Leute im Stadion wären (lacht). Wir haben das alles sehr gut bewältigt, wir haben nie verloren, es könnte also im Moment sogar ein Vorteil für uns sein. Aber grundsätzlich wünschen wir uns immer viele Zuschauer, unsere Heimspiele in der letzten Saison oder auch das Spiel in Anfield gegen Liverpool waren eine unglaubliche Erfahrung für uns. Das gehört natürlich auch zur Champions League.

Welche Maßnahmen treffen Sie als Trainer, um angesichts der Umstände die Begeisterung für den Fußball innerhalb der Mannschaft aufrechtzuerhalten?
Unsere Begeisterung wird vom Erfolgsgedanken getragen. Wir wollen es schaffen. Warum ich früher von einem Vorteil für uns gesprochen habe, liegt daran, dass die Motivation und die Inspiration innerhalb unseres Teams sehr stark ist, und das haben wir in den vergangenen sechs Monaten immer gezeigt. Das kann uns gegen alle diese Gegner helfen.

Salzburg ist ein sehr junges Team. Würden Sie sich manchmal mehr erfahrene Spieler wünschen oder passt das Gefüge?
Ich glaube, dass wir über einen sehr ausgewogenen Kader verfügen. Wir haben viele gute junge Spieler, aber auch viele mit Erfahrung. Die Jungs wie Alex Walke, Andi Ulmer, Andre Ramalho und Zlatko Junuzovic üben einen unglaublichen Einfluss auf die Mannschaft aus. Sie sind Supertypen, unglaubliche Profis und Vorbilder in jeder Hinsicht. Aber auch junge Spieler wie Max Wöber, Rasmus Kristensen, Patson Daka, Enock Mwepu oder auch Dominik Szoboszlai haben mittlerweile schon einiges an Erfahrung gewonnen. Wir sind in dieser Hinsicht gut  aufgestellt.

In der Mannschaft spielen sehr viele Afrikaner. Was zeichnet sie besonders aus?
Die meisten sind schon relativ lange hier, sie verstehen unseren Verein, unsere Mentalität. Aber sie sind auch sehr stolz, ihr Land und den ganzen Kontinent vertreten zu können. Sie tun alles, um die Menschen in ihrer Heimat glücklich zu machen, das ist für sie eine große Inspiration und hilft auch uns als Team.

Wie würden Sie grundsätzlich Ihre Beziehung zu den Spielern charakterisieren?
Ich habe ein relativ enges Verhältnis zu den Spielern. Wir im Verein und ich legen einen starken Fokus auf die Beziehung zwischen Mannschaft und Betreuerteam. In der Gruppe bekommen sie das richtige Gefühl für unsere Vorstellungen. Sie wissen Bescheid über ihre Rolle und auch darüber, wo sie sich verbessern müssen. Und sie sind hungrig.

Welche Eigenschaften muss ein Spieler mitbringen, um bei Jesse Marsch eine Chance zu haben?
Er muss die Mentalität haben, alles für die Gruppe zu tun, und er muss jeden Tag den Willen zur Verbesserung zeigen, dann habe ich immer Zeit. Aber wenn ich sehe, dass der Energiepegel niedrig oder der Eigensinn zu stark ist, dann sorgt das für Ärger.

Sie müssen hier also manchmal eingreifen?
Ja. Sie sollen verstehen, dass die Gruppe stark sein muss. Wenn das der Fall ist, und das haben wir ja schon oft erlebt, dann wirkt sich das auch positiv auf die individuelle Leistung aus. Es gibt oft Einzelgespräche, aber entscheidend ist die Kommunikation mit der gesamten Gruppe. Ich bespreche diese Thematik sehr häufig mit meinen Jungs, sie müssen sich mit diesem Gefühl identifizieren. Da geht es um die Persönlichkeit.

Ein kommender Gegner ist der FC Bayern. Kann dieser Klub Vorbild sein oder geht Salzburg grundsätzlich einen eigenen Weg, der selbst Vorbildwirkung erzeugen kann?
Unsere Art ist eine andere als die der Bayern. Ich versuche aber grundsätzlich schon, meiner Mannschaft Beispiele von großen Klubs und Spielern zu geben, was sie auszeichnet. Bayern ist natürlich immer ein Thema. München ist nicht weit weg und es gibt viele Bayern-Fans, auch hier in Österreich. Sie spielen jetzt einen sehr guten Fußball, haben viele gute Spieler, sie spielen dynamischer als in der Vergangenheit, das entspricht unserer Richtung. Es kann ein Vorbild für uns sein, aber wir können uns selbst Respekt verschaffen, indem wir gegen sie unsere beste Leistung zeigen.

Der eigene Stil steht im Vordergrund?
Wir versuchen immer, so dynamisch wie möglich zu spielen. Und es ist ein großer Test für uns gegen diese Art von Gegner, Liverpool, Bayern, Atletico. Aber wir glauben an unseren Fußball, an unsere Qualität und wir sind auch überzeugt davon, dass wir diese Spiele gewinnen können.

Sie sind seit mehr als einem Jahr Trainer in Salzburg. Kann ihre Tätigkeit zu einer Langzeitbeziehung führen?
Ja, ja. Ich bin sehr glücklich hier. Mein Verhältnis zu (Geschäftsführer) Stephan Reiter und (Sportchef) Christoph Freund ist eine der besten beruflichen Beziehungen, die ich je in meinem Leben hatte. Die Zusammenarbeit im Betreuerteam, mit der Scouting-Abteilung und unserer gesamten Mannschaft ist sehr, sehr gut. Ich glaube, dass das die Ergebnisse zeigen. Wir sprechen auf Englisch von einem "sweet spot", das heißt, du musst diesen Moment genießen. Das Leben in diesem Moment ist relativ einfach, aber wir müssen uns immer weiterentwickeln.

Also können Sie sich vorstellen, lange zu bleiben?
Ja, warum nicht? Es ist super hier.

Sie sind Amerikaner und seit etwas mehr als zwei Jahren in Europa. Wie sehr haben Sie sich schon an die Kultur gewöhnt und wie sehr fehlt Ihnen die Heimat?
Die Lebensqualität hier in Österreich ist sehr hoch und wir, also meine Familie und ich, haben zum Beispiel viel über das Sozialsystem gelernt. In Amerika hat der Begriff des Sozialismus einen sehr negativen Beigeschmack, aber ihnen ist die Bedeutung nicht so richtig klar. Der Kapitalismus in Amerika hat viele Vorteile, aber wir haben auch die Schwachstellen gesehen in den letzten Monaten, mit Corona, mit der Politik, mit der Sozialreform. Ich glaube, wir können einiges lernen vom System in Europa. Aber dennoch  bin ich sehr stolz auf unser Land und darauf, ein Amerikaner zu sein. Die beiden Seiten gegeneinander abzuwägen, ist sehr interessant für mich. Meine Erfahrungen in Europa haben meine Vorstellungen vom Leben verändert.