Das Langzeitgedächtnis eines Menschen beginnt etwa ab dem vierten Lebensjahr. Alles davor ist im Unterbewusstsein gespeichert. Die Erinnerungen Felix Nussbachers entstammen mehrheitlich Erzählungen. Mit drei Jahren wurde Diabetes Typ 1 bei ihm diagnostiziert. Es war die Zeit, als seine Heimatstadt Villach jedes Jahr um den Eishockey-Meistertitel spielte. Der VSV faszinierte und zog viele Kinder in den Bann. So auch Nussbacher, der ungeachtet seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung eine Torhüter-Karriere eingeschlagen hat. Heuer steht er vor seinem ersten Profi-Spiel bei den Graz 99ers. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie zählt der 20-Jährige jedoch zur Gruppe der Risikopatienten.

Die Eishockeyliga steht vor dem Start. Gleichzeitig steigen die Zahlen von Coronafällen in Österreich drastisch. Was löst das in Ihnen aus? Haben Sie Angst?
Felix Nussbacher: Ich informiere mich permanent über die Facebook-Gruppe „Diabetes Austria“ zum aktuellen Stand. Ich denke, dass mein Immunsystem durch den Sport gestärkt ist. Grundsätzlich heißt es in meinem Fall, dass der Körper mit dem Steigen und Fallen des Blutzuckerspiegels beschäftigt ist. Daher die Vermutung, dass das Coronavirus mehr anrichten könnte. Ich rede mir ein und beruhige mich, dass Eishockey alles ausgleicht.

Was bedeutet Diabetes Typ 1?
Diese Erkrankung wird genetisch vererbt. Der Körper produziert kein Insulin.

Wie gehen Sie damit um?
Ich hatte 17 Jahre Zeit, mich daran zu gewöhnen. Jetzt besitze ich eine Insulin-Pumpe. Diese ist mit einem Katheter verbunden, den ich alle drei Tage wechsle. Ein Schlauch führt zu einer Nadel, die an meinem Hintern klebt. Die Nadel ist aus Teflon, das heißt, ich spüre sie nicht beim Eishockey. Das Basis-Insulin wird automatisch abgegeben. Bei Korrekturen oder Mahlzeiten muss man zusätzlich eingeben, wie viele Einheiten Insulin der Körper abgibt. Der Vorteil ist, dass man nicht ständig stechen und spritzen muss. Die Lebensqualität verbessert sich deutlich.

Haben Sie sich jemals gefragt, warum ausgerechnet Sie davon betroffen sind?
Natürlich. Sehr oft sogar im Alter zwischen 12 und 14 Jahren. Meine Mama hat mir ziemlich geholfen, weil sie mich immer ermahnt hat, dass man ja nichts ändern kann. Sie sagte: „Es hilft nichts“, das hat sie ganz unpädagogisch gelöst. Und es gibt ja wirklich Schlimmeres.
Tragen Sie die Pumpe auch beim Eishockey unter Ihrer Ausrüstung?
Natürlich. Sie ist mittels Oberschenkelgurt festgezurrt und so groß wie ein altes Nokia-Handy. Das stört nicht beim Spielen. Zumindest habe ich mich schon daran gewöhnt.

Wie reagieren Teamkollegen, wenn sie diese Pumpe zu Gesicht bekommen?
Es fällt schon auf. Sie fragen und meistens geben sie sich selbst die Antwort. Weil sie mit dem einen oder anderen Spieler, der Diabetes hat, im Laufe ihrer Karriere in Kontakt gekommen sind. Oder zumindest über NHL-Spieler wie Max Domi oder Caps-Stürmer Taylor Vause gelesen haben, die damit offensiv umgehen. Irgendwann hat sich das herumgesprochen und alle wissen Bescheid.

Beeinträchtigt diese Pumpe Ihre sportlichen Leistungen?
Nicht, wenn man sie so lange hat wie ich. Wenn man davon erst seit Kurzem betroffen ist, muss man sicherlich den richtigen Weg finden, dass im Training oder während einer Partie der Zuckerspiegel nicht zu tief sinkt.

Eishockey als Ausgleich zum Coronavirus. Gab es Momente, in denen Sie das anders sahen?
Am Anfang der Ausgangsbeschränkungen war ich niemals draußen, nicht einmal zum Einkaufen. Da habe ich wirklich aufgepasst. Ich musste Freunden oft absagen, wenn sie mit mir nur spazieren gehen wollten. Jetzt bin ich der Meinung: Ich kann mich nicht zu Hause einsperren.

Lässt Sie Ihre Krankheit im Alltag vorsichtiger sein?
Ganz sicher. Wie gesagt, während des Lockdowns bin ich praktisch nicht vor die Haustür gegangen. Später haben die Menschen wieder begonnen zu feiern, sind durch die Lokale gezogen. Davon habe ich stets Abstand gehalten.

Fühlen Sie sich in einer Eishockey-Kabine derzeit überhaupt wohl?
Klar. Wir befinden uns beim Eishockey in einer Art Blase. Es ist untersagt, dass wir viele soziale Kontakte haben, oder zumindest müssen wir Menschenmassen meiden. Innerhalb dieser „Bubble“ wird es Normalität, zu leben und Corona vor der Kabinentür zu lassen. Wir desinfizieren uns die Hände, jeder hat seine eigene Trinkflasche und die Betreuer greifen nichts an. Der Physio muss strenge Bubble-Richtlinien befolgen.

In der Kabine befindet sich eine Spielerkoje direkt neben der anderen. Halten Trainer ihre Ansprachen, sitzen alle eng beieinander auf den Plätzen. Suchen Sie da Abstand?
Nein. Wir wurden alle getestet und werden vor dem Ligastart nochmals getestet. Hier trenne ich sozusagen Berufliches vom Privaten. In meiner allerersten Saison als Profi will ich das nicht aus der Distanz erleben müssen oder irgendwelche Extrawurst-Behandlungen.

Aber ausgerechnet Eishockey: Körperkontakt, Schweiß spritzt, es wird geschrien – verunsichert Sie das nicht?
Ich versuche, mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen, sonst wäre ich zu sehr vom Spiel abgelenkt.

Ermahnen Sie Ihre Team-Kollegen zur Vorsicht?
Nein. In einem Mannschaftssport versteht sich das eh von selbst.