Er sehe es als seine Aufgabe als neuer Kanzler, dieses "Regierungsschiff" wieder in ruhigere Gewässer zu führen und die Sacharbeit fortzusetzen, bekräftigte Schallenberg nach dem Sonderministerrat am Nationalfeiertag. In der Coronakrise trage "jeder von uns" Verantwortung, in Gesellschaft und Politik, und wer glaube, dass er sich bei der Bekämpfung einseitig aus der Verantwortung stehlen könne, "der betrügt sich selber", mahnte der Kanzler.

Gefragt, wen er denn damit meine, verwies Schallenberg darauf, dass es in Österreich im Gegensatz zu anderen Mitgliedsstaaten mit höherer Impfquote leider "eine politische Kraft im Land" gebe, die dagegen ankämpfe, "die das verteufelt". Wenn man die politische Landkarte und die Impflandkarte übereinander lege, zeige sich dort, wo die FPÖ ein Mitspracherecht habe, eine extrem niedrige Impfquote. Man müsse die Quote von rund 60 Prozent erhöhen, es gehe um die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen. Er wäre froh, wenn auch staatspolitisch alle an einem Strang ziehen würden, "aber leider Gottes ist das noch nicht der Fall", bedauerte der Kanzler.

Die FPÖ wies die Vorwürfe in Person von Generalsekretär Michael Schnedlitz per Aussendung zurück. Schallenberg sei offenbar Opfer der eigenen Impf-Propaganda und verwechsle diese mit einer umfassenden Information. Diese werde den Bürgern nur von der FPÖ geboten. Die anderen Parteien würden "die Menschen mit plumper Propaganda und völlig unangemessenen Zwangsmaßnahmen in die Nadel treiben", so Schnedlitz.

Der Kanzler beschäftigte sich aber auch mit dem Regierungspartner. Zur Frage, welche Krisensicherungsmaßnahmen denn die Koalition nach den turbulenten Wochen für sich selbst gesetzt hat, erklärte Schallenberg: "Es ist ganz klar, dass die Situation noch anspruchsvoll ist und volatil ist", aber man habe begonnen, einen direkten Gesprächskanal aufzubauen. Natürlich müsse man aufeinander zugehen und man gehe "auf dünnem Eis, wenn einer aufstampft, dann sind wir beide im kalten Nass". Gleichzeitig betonte Schallenberg aber, "der Wille ist da, von beiden Seiten, dass man zusammenarbeitet". Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zeigte sich ebenso optimistisch, man habe eine sehr gute Kooperationsbasis aufgebaut. "Das funktioniert hervorragend." Es funktionierten "alle Achsen", zwischen Kanzler und Vizekanzler, den Klubobleuten, und auch die Parteichefs - also er und Ex-Kanzler Sebastian Kurz - hätten "eine entsprechende Gesprächsbasis", sagte Kogler. "Wir sehen ja, dass was weitergeht."

Kurz nach dem Ministerrat fand am Heldenplatz die traditionelle Angelobung der Rekruten statt. Publikum war auch in diesem Jahr kaum zugelassen, das Areal um den Festakt war abgesperrt. Ein paar Schaulustige fanden sich trotzdem ein, freilich nicht vergleichbar mit den Menschenmassen, die es in vergangenen Jahren zur Leistungsschau des Heeres in die Innenstadt gezogen hat. Die Bevölkerung konnte bei dem Event live übers Internet und Fernsehen dabei sein.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte seine Politikerkollegen in seiner Ansprache daran, dass es eigentlich auch der Zweck der Politik sei, "dem Land zu dienen" Das Bundesheer sei ein elementarer Faktor, um bei künftigen Krisen wie Blackouts oder Naturkatastrophen entschlossen agieren zu können - es müssten daher immer ausreichende Ressourcen gewährleistet sein, mahnte er.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) erinnerte an die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten während der Coronapandemie. "Sie waren immer da" - von der Übernahme eines Pflegeheims in der Steiermark über die Arbeit in den Impfstraßen bis zur Desinfektion von Gebäuden. Derzeit helfe das Heer bei den Waldbränden in Reichenau, und es werde wohl leider ein historischer Einsatz mit vier Hubschraubern werden, befürchtete Tanner. Man werde weiter in die Ausrüstung und Kasernen investieren, verwies Tanner auf die Budgetsteigerungen.

Kanzler Schallenberg erklärte in seiner Rede, der Nationalfeiertag sei nicht nur ein Tag zum Feiern, sondern auch eine Gelegenheit zum "Innehalten, zur Reflexion und zur Selbstreflexion" - dies erscheine gerade in der jetzigen Phase sinnvoll. Diskussionen, auch hitzige und kontroversielle, seien das "Schmiermittel" jeder offenen, pluralistischen Gesellschaft. "Bei aller auch berechtigten Emotionalität" solcher Debatten sollte man aber nie vergessen, was für ein Glück es sei, in einem Land wie Österreich leben zu dürfen, meinte Schallenberg.

Am 26. Oktober 1955 hat der Nationalrat die immerwährende Neutralität beschlossen. Manche würden heute von einer "Scheinexistenz" der Neutralität sprechen, meinte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), "ein Untoter, der durch die österreichische Politik geht". Er sei nicht dieser Meinung, betonte Ludwig, denn die Neutralität sei als Teil der österreichischen Außenpolitik eine Möglichkeit, "Frieden zu schaffen in der Welt".

Mit dem Sprechen der Gelöbnisformel unter den Augen des Oberbefehlshabers Van der Bellen waren die 100 jungen Männer angelobt. Nach der Bundeshymne und der Europahymne gab es noch einen "Gruß der Luftstreitkräfte": Zwei Eurofighter und eine Hercules-Transportmaschine überflogen bei sonnigem Herbstwetter in einer Formation den Heldenplatz. Danach landeten vier Fallschirmspringer des Jagdkommandos direkt vor den Festgästen - da zückte sogar der eine oder andere Minister begeistert sein Handy zum Mitfilmen.