Ist die Zeit reif für die Wende zur klimafreundlichen und emissionsfreien Mobilität?

GERNOT HACKER: Dass Mobilität sauberer werden muss, das weiß man schon seit 50 Jahren. Und in diesem Zeitraum hat sich dahingehend auch enorm viel verbessert. Ich sehe die heutige Wende als ein Zusammenspiel aus neuen gesetzlichen Vorgaben und den Lösungen auf der technologischen Seite. Aber eines muss man klar sagen: Es wird nicht die eine perfekte technologische Lösung für alle Anwendungen geben.

CHRISTIAN MARTIN: Mich freut, dass wir von AVL maßgeblich an dieser Wende mitgestalten können. Wir haben über die letzten Jahrzehnte durch kontinuierliche Weiterentwicklung bereits signifikante Verbesserungen erzielt und werden auch in Zukunft in derselben hohen Qualität weitermachen. Und wie mein Kollege schon gesagt hat: Auch ich glaube nicht an die „Silver Bullet“, also die alleinige magische Lösung für alle Herausforderungen und Anforderungen. Es wird eine hohe Diversifikation der Technologien geben, denn jede davon hat ihre Vorteile in einem bestimmten Anwendungsbereich.

GERHARD KOKALJ: Das Ziel muss eine leistbare und nachhaltige Mobilität für die Zukunft sein. Wir sehen in der aktuellen Entwicklung eine große Chance, die Antriebe von morgen noch besser und umweltfreundlicher zu machen. Aus meiner Sicht haben Regierungen auf der ganzen Welt und auch Unternehmen wie AVL sogar die Pflicht, bei der Gestaltung der umweltfreundlichen Mobilität Verantwortung zu übernehmen. Und das tun wir auch: Diese Verantwortung zählt zu unseren wesentlichen Motivatoren und Triebfedern bei der Forschung und Entwicklung.

Gerhard Kokalj, AVL, Leiter Applikation Getriebe, E-Achse, Hybrid & Elektro: „Die Mobilität der Zukunft braucht neugierige, offene und kreative Köpfe.“
Gerhard Kokalj, AVL, Leiter Applikation Getriebe, E-Achse, Hybrid & Elektro: „Die Mobilität der Zukunft braucht neugierige, offene und kreative Köpfe.“ © Stefan Pajman/ballguide


Das heißt, obwohl AVL gerne mit dem Verbrennungsmotor assoziiert wird: Sie sind auf die Veränderungen vorbereitet?

MARTIN: Auf jeden Fall. AVL hat sich seit jeher nie auf nur eine Technologie, als die beste und einzig sinnvolle, konzentriert. Unser Chef, Prof. Helmut List, hatte immer den Mut und den Pioniergeist, Ressourcen in Technologien zu investieren, bei denen anfangs gar nicht ersichtlich war, auf welche Akzeptanz sie auf dem Markt stoßen werden. Ich bin auch überzeugt davon, dass wir es uns heute nicht leisten können, eine Technologie einfach abzudrehen bzw. zu vernachlässigen.

HACKER: Wie vorausblickend AVL denkt, zeigt zum Beispiel unser in Europa einzigartiges Brennstoffzellen-Entwicklungszentrum. Seit mehr als 15 Jahren investieren wir in diese Technologie, bei der einst kaum jemand an eine Marktchance geglaubt hat. Und heute ist sie bei Nutzfahrzeugen massiv im Kommen. AVL hat sich bewusst immer breit und in unterschiedlichste Richtungen aufgestellt – und heute sind wir froh und stolz, dass wir bei den Systemen der Zukunft ganz vorne dabei sind.

Muss man, wenn man an der Mobilität der Zukunft forscht und entwickelt, Mobilität auch neu denken?

HACKER: Im letzten Jahrzehnt haben wir erlebt, dass sich das System Fahrzeug massiv verändert hat. Ein Auto ist heute nicht mehr nur ein Fortbewegungsmittel, das entweder fährt oder parkt. Es ist zu einem integralen Bestandteil des digitalen Lebens geworden, sozusagen zur Plattform, die als Fortbewegungs- aber z. B. auch als Kommunikationszentrale dient. Dazu wird ein Fahrzeug der Zukunft auch viele neue Funktionalitäten bieten müssen. Die Hersteller brauchen mit diesen Veränderungen auch neue Geschäftsmodelle, die der neuen Rolle entsprechen. Modelle, die weit über den Verkauf eines Autos hinausgehen und vor allem auf einem Gesamtpaket von Services basieren.

Wird der Besitz eines Fahrzeugs überhaupt noch die Bedeutung haben, den er viele Jahre lang gehabt hat?

KOKALJ: Die Veränderung der Mobilitätsbedürfnisse ist ja nicht plötzlich entstanden, sondern spiegelt häufig die veränderten Lebensentwürfe vieler Menschen wider. Die einfach andere Ansprüche an ihr Dasein haben als die Generation vor 30 oder 50 Jahren.

HACKER: Das Produkt Auto ist für die jüngere Generation heute nicht mehr so wichtig wie früher. Die Mobilität an sich hat aber noch immer, quer durch alle Generationen, eine große Bedeutung. Das heißt für mich: Wer kein Auto mehr besitzen mag, wird auf ein alternatives Mobilitätsmittel zurückgreifen.

MARTIN: Das Bedürfnis einer individuellen Mobilität ist noch immer stark verankert – und ich sehe derzeit keinen Trend, dass sich das massiv verändert, schon gar nicht in ländlichen Regionen. Um das zu befriedigen, müssen wir Mobilität als Gesamtsystem begreifen und dementsprechende Lösungen anbieten.

Gernot Hacker, AVL-Produktmanager  Elektrifizierung: „Fahrzeuge werden noch intelligenter, sauberer, komfortabler und sicherer werden.“
Gernot Hacker, AVL-Produktmanager Elektrifizierung: „Fahrzeuge werden noch intelligenter, sauberer, komfortabler und sicherer werden.“ © Stefan Pajman/ballguide


Wenn jetzt bei AVL neue MitarbeiterInnen von diversen Bildungseinrichtungen einsteigen. Merkt man bei denen, dass sie Mobilität anders denken?

HACKER: Auf jeden Fall. Ich selbst hatte das Glück, an der Stanford Universität in Kalifornien im Automobilcluster mitarbeiten zu können. Bei den diversen Projektteams waren MedizinerInnen, PsychologInnen, SoftwareingenieurInnen, DesignerInnen und auch MaschinenbauerInnen dabei. Daran sieht man, wie umfassend man heute denken, planen und entwickeln muss, um die relevanten Kundenbedürfnisse punkto Mobilität erfassen zu können. Ich bin überzeugt, dass die Veränderung der Automobilindustrie, die wir derzeit erleben, eine Jahrhundertchance ist. Für alle aktiven KollegInnen bei AVL und für alle NeueinsteigerInnen. Wir haben genau jetzt die einmalige Gelegenheit, Mobilität für Jahrzehnte aktiv mitzugestalten.

MARTIN: Ganz wichtig ist für AVL, dass wir MitarbeiterInnen bekommen, die gute Ausbildungen und Teamfähigkeiten mitbringen, um diese spannenden Aufgaben gemeinsam umsetzen zu können. Denn das Ziel, das Antriebssystemoptimum, kann nur erreicht werden, wenn alle perfekt zusammenarbeiten.

KOKALJ: Wer bei uns neu einsteigt, der darf seine Neugier, Offenheit und Kreativität ganz nach oben stellen, egal ob Lehrling oder UniversitätsabsolventIn. Bei uns finden sie die Spielwiese, um ihre Ideen weiterzuentwickeln. Jugendlichen, die eine Lehre beginnen wollen, kann ich z. B. den ganz neuen Lehrberuf „Applikationsentwicklung – Coding“ in meinem Bereich wärmstens empfehlen. Speziell der Software-Bereich ist für die Mobilität der Zukunft essenziell.

Christian Martin, AVL-Produktmanager ­ Pkw-Antriebsstrang: „AVL sieht Mobilität  als Gesamtsystem und daran orientieren sich ihre Entwicklungen.“
Christian Martin, AVL-Produktmanager ­ Pkw-Antriebsstrang: „AVL sieht Mobilität als Gesamtsystem und daran orientieren sich ihre Entwicklungen.“ © Stefan Pajman/ballguide


Welche Fahrzeuge werden in 10 bis 15 Jahren auf unseren Straßen ­fahren?

HACKER: Am stärksten wird wohl der Anteil der batterieelektrischen Antriebe in den nächsten Jahren ansteigen. Dazu kommen die Brennstoffzellenantriebe bei Nutzfahrzeugen. Aber ich sehe noch alle heutigen Antriebssysteme auf den Straßen. Was noch schwer vorhersehbar ist: Welche Funktionalitäten wird es geben? Da stehen wir vor gewaltigen Entwicklungen. Kurz: Fahrzeuge jeder Art werden noch „intelligenter“, ­sauber, komfortabler und auch noch ­sicherer werden.

MARTIN: Der Straßenverkehr wird aus meiner Sicht eine noch stärkere Diversifikation der Antriebssysteme als bereits heute ersichtlich widerspiegeln. Und ich bin mir sicher, dass wir auch dann noch durch entsprechende Weiter- und Neuentwicklungen einen relevanten Beitrag an der Mobilität der Zukunft leisten ­können und werden.

KOKALJ: Wir leben in einer spannenden Zeit. Ich denke, der Straßenverkehr in 15 Jahren wird ein guter Mix von allem sein.