Mitten in Wien macht Birgit Hebein mit uns einen Ausflug aufs Land. Mit dem Rad, wie es sich für eine Grünpolitikerin gehört, führt sie uns in den 15. Bezirk. Zwischen den Häusern steht eine Kirche, am kopfsteingepflasterten Vorplatz wird im Frühling ein Maibaum aufgestellt. Im Wirtshaus gegenüber ist die Stube mit dunklem Holz getäfelt, die Speisekarte üppig und das Bier süffig.

Es ist das Lieblingswirtshaus von Birgit Hebein, die vor zwei Jahren zur Wiener Grünenchefin gewählt wurde und seit Juni 2019 Vizebürgermeisterin ist. Die türkis-grüne Bundesregierung verhandelte sie mit. Ob sie und die als besonders links geltenden Wiener Grünen der Koalition mit der ÖVP zustimmen, galt lange als fraglich.

Birgit Hebein fuhr mit uns mit dem Rad vom Rathaus in den 15. Bezirk. Radwege benutzte sie unterwegs kaum.
Birgit Hebein fuhr mit uns mit dem Rad vom Rathaus in den 15. Bezirk. Radwege benutzte sie unterwegs kaum. © (c) Christoph Kleinsasser (Christoph Kleinsasser)

In Wien ist von Türkis-Grün in diesem Wahlkampf nicht viel zu spüren. Gernot Blümel erinnere sie an einen „Wanderzirkus“, sagt sie. „Er muss sich entscheiden, ob er Finanzminister oder Wiener Spitzenkandidat ist“, sagt sie. Hebein setzt sich vehement dafür ein, dass Flüchtlingskinder aus Griechenland nach Wien geholt werden. Die ÖVP erteilte dem eine Absage. „Beschämend“, nennt Hebein das.

Trotzdem habe sie es nie bereut, dass ihre Partei im Bund mit der ÖVP koaliert: „Dann würde es keinem einzigen Kind in Moria besser gehen“, sagt sie. Und: „Ich bin jeden Tag froh, dass Rudi Anschober uns durch die Coronakrise führt, und nicht Frau Hartinger-Klein.“

Hebein wuchs in Feistritz an der Gail auf, nach der Matura zog sie nach Wien, um Sozialarbeiterin zu werden. Die Tracht, die sie damals mitbrachte, trägt sie heute nicht mehr. Hebein lebte in einem besetzten Haus und ging auch im Ernst-Kirchweger-Haus ein und aus, das Blümel als „Sammelbecken linksextremer Vereine“ bezeichnet. „Eine Großstadt kann es sehr gut vertragen, dass es viele Frei- und Kulturräume gibt“, sagt Hebein.

Als Sozialarbeiterin arbeitete Hebein mit Obdachlosen und Suchtkranken. Über die Bezirkspolitik kam sie zu den Grünen, 2010 zog sie in den Gemeinderat ein und wurde Sozialsprecherin. Sie verhandelte die Wiener Mindestsicherung mit und setzte sich für sichere Plätze für Straßenprostitution ein. Dass sie Parteichefin wurde, kam für viele in der Partei unerwartet. Als Favoritin galt sie nicht, doch der komplexe Wahlmodus begünstigte die Kompromisskandidatin.

Vor zwei Jahren wurde Birgit Hebein zur Nachfolgerin von Maria Vassilakou gewählt.
Vor zwei Jahren wurde Birgit Hebein zur Nachfolgerin von Maria Vassilakou gewählt. © (c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)

Von ihrer Vorgängerin Maria Vassilakou übernahm sie das Planungsressort und einen speziellen politischen Stil: Bei Projekten, die auf Widerstand stoßen, sucht man einen Weg, sie trotzdem rasch umzusetzen. Sind die Ideen erst einmal sichtbar, so das Kalkül, werden die Menschen schon sehen, wie gut sie sind.

Hebein zeigte das in den letzten Monaten an vielen Orten in Wien: Mit temporären Begegnungszonen und kurzfristig eingerichteten Radwegen. Mit Straßenzügen, die über den Sommer für Autos gesperrt und abgekühlt wurden und mit einem Swimmingpool auf einer Kreuzung am Gürtel, einer Hauptverkehrsader der Stadt. Ihren Koalitionspartner die SPÖ stieß sie damit mehrmals vor den Kopf. Dem Vorwurf „PopUp-Politik“ zu betreiben, mit Projekten, die bald wieder verschwinden, entgegnet Hebein: „Das Gegenteil von PopUp ist Stillstand.“ Ihr gehe es darum zu zeigen, was Straßen alles können.

Podcast-Aufnahme im Lieblingswirtshaus von Birgit Hebein.
Podcast-Aufnahme im Lieblingswirtshaus von Birgit Hebein. © (c) Christoph Kleinsasser (Christoph Kleinsasser)

Ein Umdenken möchte Hebein auch beim Thema Integration bewirken, das für ihren Geschmack zu undifferenziert diskutiert wird. Bei ihren Konkurrenten ortet sie eine „Genügsamkeit, Daten zu verkünden.“ Schlechte Deutschkenntnisse bei Schülern seien für sie weniger Anlass zu Kritik, als zum Handel: „Ich erwarte mir, dass diese Kinder besonders unterstützt werden.“ Und von der Mehrheitsgesellschaft abgeschottete Gruppen, vor denen ÖVP und FPÖ warnen, könne sie in Wien nicht erkennen. „Jedes Mal, wenn jemand von Parallellgesellschaft spricht, habe ich das Gefühl, er beleidigt meine Nachbarn“, sagt sie. In ihrem Heimatbezirk, in dem auch das Wirtshaus liegt, hat jeder zweite Migrationshintergrund.

Auf unserem Weg hierher sind wir übrigens kaum auf Radwegen gefahren. Obwohl es in Parallelstraßen durchaus welche gegeben hätte - und zwar nicht erst seit letztem Sommer.