Wie erleben Sie die Stimmung seit der Angelobung? Man hat den Eindruck, die Basis ist skeptisch, die Bevölkerung überschwänglich. Beim Steirerball wollten mehr Leute mit Ihnen Selfies machen als sonst mit Kurz?
WERNER KOGLER: Bisher gab es eher bei jungen Menschen, bei Fridays-for-Future kein Weiterkommen wegen der Selfies. So wie am Freitag beim Steirerball habe ich das noch nicht erlebt. Als ich gehen wollte, habe ich eine Stunde gebraucht, um aus der Hofburg rauszukommen. Was die Basis betrifft: Ich gehe wieder auf Ländertour und werde mit allen reden. Bei den Grünen wird gern offen und kritisch diskutiert, letztendlich ist aber die Sache klar. Das gilt auch für die Abgeordneten. Diese geben zwar differenzierte Stellungnahmen ab, sind aber voll dabei. Das ist der Kulturwandel, den die Grünen mitbringen – im Unterschied zu Türkis und Blau.

Sie gehen nicht davon aus, dass Abgeordnete ausscheren?
Ich bin da sehr entspannt. Ich schließe nicht aus, dass bei ganz wenigen Abstimmungen Gewissensfragen auftauchen. Das weiß man nie. Die Mehrheiten werden aber reichen. Es kommt nicht die Käseglocke drüber.

Weil dauernd von den „zwei Welten“ die Rede ist: Leben nicht Sie in zwei Welten? Die innerparteiliche Kritik sowie die Allgemeinheit, die wohlwollend ist?
Die Partei ist diskussionsfreudig. Wenn man unter unseren 10.000 Mitglieder eine Umfrage machen würde, wäre der Zuspruch noch größer als beim Bundeskongress. Ich sehe keine zwei Welten. In der Bevölkerung ist Türkis-Grün die beliebteste Variante im Moment. Die Umfragen gehen ohnehin durch die Decke.

Sind Sie in Ihrer Rolle als Vizekanzler schon angekommen?
Das kommt mir immer noch komisch vor. Mir ist der Begriff Verantwortungsträger lieber, weil ich was bewegen will. Ich werde mich in der nächsten Zeit auf meine Koordinierungsarbeit in der Regierung konzentrieren. Die Grünen haben wegen ihrer Geschichte – von der Straße in die Regierung – noch einiges wettzumachen. Es wird für uns nicht einfach werden. Wir sind allerdings nicht naiv.

Damit geht auch ein Verlust von Lebensqualität einher?
Die ist schon länger verloren gegangen. Das ist ein fließender Übergang.

Dass Sie für ein paar Tage das Handy abdrehen, wie sie es früher getan haben, geht nicht mehr?
Das geht nicht mehr. Ich brauche ein paar Tage ohne Handy im Jahr. Da werde ich mir ein Piepserl zulegen. Ich kann mich nicht mehr völlig wegschalten.

Wie ist die Vertrauensbasis mit dem Kanzler?
Sie ist so tragfähig, dass wir unsere Unterschrift unter das Übereinkommen gesetzt haben. Wir haben schnell eine Gesprächsbasis gefunden und von Beginn an offen und geradlinig miteinander kommuniziert. Das hilft sehr. Wir werden sehen, wie das normale Regierungsleben ist. Das Vertrauen hält so lange, solange man keine besonderen negativen Erfahrungen macht. Das ist wie in jeder normalen Beziehung.

Nervt Sie der Hinweis, dass Sie das gleiche Ressort wie Strache haben?
Erstens stimmt es nicht, zweitens ist es mir egal, drittens hat es eine gewisse Logik. Als Beamtenminister ist man das ideale Spiegelressort für den Finanzminister. Im Übrigen hat Strache nicht so viel gearbeitet wie ich, außerdem hat er sich in die falschen Filme begeben.

Warum haben Sie nicht sein Büro übernommen?
Das war mir zu barock. Und Leonore Gewessler, die unser wichtigstes Ressort hat, befindet sich mit ihrem Team am Ende des Ganges.

Die Grünen mussten inhaltlich viel schlucken? Wie bitter ist das?
Um Türkis-Blau zu stoppen, hatten wir nur eine Möglichkeit. Die ÖVP hatte mehrere Optionen. Für mich war zusätzlich handlungsleitend, dass wir in der Regierung mehr Möglichkeiten haben, die Dinge zum Besseren zu wenden als in Opposition. Ich will nicht, dass man uns Grünen in zehn Jahre den Vorwurf macht: Ihr Dummen da, warum habt ihr euch damals nicht eingebracht und euch mit der Oppositionsrolle begnügt?

Wie passen türkise Leuchtturmprojekte wie das Kopftuchverbot zur grünen Welt?
Das war nicht einfach für uns. Objektiv gibt es durchaus ein Problem, denken Sie nur an die Debatte über Mädchen und jungen Frauen, die nicht zum Schwimmunterricht gehen dürfen. Uns war wichtig, dass in diesem Punkt die Politik der Stigmatisierung einer Bevölkerungsgruppe beendet wird.

Und die Sicherungshaft?
Diese konnte so nicht wegverhandelt werden. Kickl wollte mit dem Passus ganze Personengruppen auf Verdacht hin einsperren. Davon steht nichts mehr drinnen. Ich halte die Debatte ohnehin für einen Zinnober. In ein, zwei Jahren werden wir uns wundern, warum wir uns in den ersten Wochen damit befasst haben. Niemand muss sich Sorgen machen, dass wir um die Ecke crashen und in Österreich die Menschenrechte nicht mehr gelten.

Haben Sie sich nicht von der ÖVP über den Tisch ziehen lassen?
Nehmen Sie die grünen Leuchtturmprojekte: Österreich wird sich beim Klimaschutz in Europa auf Platz eins katapultieren. Es wird einen Haufen Dinge geben, die man wirklich spürt. Schon die erste Etappe der Steuerreform beinhaltet massive Ökologisierungsschritte. Beim Autokauf wird es Anreize zur Umweltfreundlichkeit geben, die Ökologisierung der Pendlerpauschale bewegt bis 600 Millionen. Sie werden das Land in ein paar Jahren nicht wiedererkennen, nehmen Sie mich beim Wort.

Wird es auf grüner Seite Generalsekretäre geben? Die sind unter Türkis-Blau als Ausdruck eines autoritären Amtsverständnisses verteufelt worden?
Die Frage ist offen. Bei besonders großen Ressorts mag es sinnvoll sein, wenn der Generalsekretär als echtes Scharnier zwischen Kabinett und Ministerium konzipiert ist. Unter Türkis-Blau war es anders, da sind Leute hingesetzt worden, die mehr auf die Parteizentralen als auf die Notwendigkeiten des Ressorts gehört haben.

Zu den Angriffen auf Alma Zadić: Wünschen sich die Grünen mehr Zusammenhalt vom Koalitionspartner?
Ich habe von der ÖVP ausreichende Signale wahrgenommen. Das andere war, dass der Kanzler mit Fortdauer seines Statements auf die eigene Betroffenheit verwiesen hat...

Dass deutsche Seenotretter Kurz als „Baby-Hitler“ verglichen haben, ist doch untragbar?
Wir haben unterschiedlichen Auffassungen zur privaten Seenotrettung, daran wird sich nichts ändern. Bei allem Verständnis für private Seenotretter, der Vergleich, der da angestellt wurde, ist inakzeptabel.

Sie haben bei Sturm Graz gespielt, sind jetzt Sportminister. Ist das die Kür neben der Pflicht?
Ich habe nur ein Jahr bei der U-21 mittrainiert. Man kann über den Sport schon Schwerpunkte setzen, beispielsweise über den Frauenfußball, den Frauenhandball oder den Behindertensport. Es wird einiges an grüner Handschrift geben. Wir werden da Botschafter eines besseren Österreichs sein.

Kann man als Sportminister Sturm-Fan sein?
Ich gebe eine steirische Antwort: Es geht sich aus. Das ist eine Kindheitsprägung.

Eine letzte Frage: Bei der Angelobung waren Sie ohne Krawatte, beim Steirerball mit. Wie das?
Beim Steirerball hatte ich schon öfters eine Krawatte an. Nachdem ich keinen Steireranzug in Wien hatte, haben mir meine Mitarbeiter eine grüne Krawatte besorgt, damit ich in Kombination mit dem Hemd was Grün-Weißes trage. Es ging um die Landesfarben.

Die Krawatte war nur ein Ausreißer? Sie zeigen sich in Zukunft wieder krawattenlos?
Die grüne Brille ist in den Hintergrund getreten. Vielleicht geht noch was mit der grünen Krawatte, schauen wir einmal.