Sieben Monate ist es her, dass wir das Ibiza-Video veröffentlicht haben. Am 17. Mai 2019, Punkt 18 Uhr, publizierten wir in der 22. Etage der „Süddeutschen Zeitung“ in München unsere Artikel im Internet. Zugleich schalteten unsere Recherche-Partner vom „Spiegel“ ihre Texte frei. Was dann folgte, war eine regelrechte Lawine. Eilmeldungen poppten auf Smartphones auf, Meldungen gingen hinaus an die Nachrichtenagenturen, Twitter explodierte förmlich. Nun konnte jeder sehen, hören und nachlesen, was Heinz-Christian Strache an jenem Sommerabend 2017 auf der spanischen Insel gesagt hat: Prahlereien über mächtige Freunde; Offenheit für dubiose Deals, um die Kontrolle über die „Kronen Zeitung“ zu erlangen; Bereitschaft, mit einer angeblich schwerreichen Russin über Geschäfte mit dem österreichischen Trinkwasser zu reden; Phantasien von einer Zukunft Österreichs als Teil Osteuropas. Inzwischen weiß jeder: Die russische Oligarchennichte war nicht echt, alles wurde heimlich gefilmt, Strache war in eine Falle getappt. SZ und „Spiegel“ war das Video zugespielt worden – aber war es auch echt?

Oder saßen wir einer geschickten Fälschung auf, die den beiden Medien untergejubelt werden sollte? Im SZ-Team, bestehend aus den Investigativ-Spezialisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, der Wienerin Leila Al-Serori, unserem Österreich-Korrespondenten Peter Münch und mir, schüttelten wir beim Sichten des Videos immer wieder die Köpfe. Über Stunden machten die falsche Oligarchennichte und ihr Helfer dem damaligen FPÖ-Chef Strache und seinem Vertrauten Johann Gudenus Angebote, die auf Korruption hinausliefen. Strache zierte sich, er sagte mehrmals, dass alles rechtskonform ablaufen müsse, aber auch, dass die Firma des Industriellen Hans Peter Haselsteiner keine Aufträge beim Autobahnbau mehr bekäme – dafür aber die Russin.

Während wir das Gehörte abtippten, lief die Prüfung an: Externe Experten untersuchten die Video-Sequenzen darauf, ob geschnitten, eingefügt oder sonst wie manipuliert worden war, ob die Ton- und Bildspuren der verschiedenen Kameras auch identisch waren. Ein Ohrengutachten bestätigte, dass es sich bei den Männern, die auf dem Video wie Strache und Gudenus aussahen, auch wirklich um die beiden handelt. Eine weitere Bestätigung kam später von den beiden Politikern selbst. Auf unsere Anfragen räumten Strache und Gudenus ein, dass sie im Juli 2017 die beiden Lockvögel in der Ibiza-Villa getroffen hatten. Das Video war offenkundig echt, wir konnten publizieren. Kurz vor der Veröffentlichung bekam ich übrigens nicht nur Phishing-Mails geschickt, die meinen Computer knacken wollten. Auch mein Handy machte ohne mein Zutun seltsame Dinge: Auf dem Display tauchte plötzlich die Frage auf, ob die Kamera eingeschaltet werden kann.

Knapp sieben Monate ist das alles nun schon her. Seitdem haben unsere österreichischen Kolleginnen und Kollegen infolge der Ibiza-Veröffentlichung vieles aufgedeckt: die Vereinskonstruktionen der großen Parteien, die Postenvergabe im Glücksspielkonzern Casinos Austria AG, die Spesenaffäre in der FPÖ. Auch wir, die Ibiza-Rechercheure, befassen uns weiter mit den Ausläufern der Ibiza-Affäre: Erst vor wenigen Tagen wiesen wir mithilfe von Datenforensikern nach, dass die Fotos von Bargeldbündeln 2013 mutmaßlich im Auto des damaligen FPÖ-Obmanns Strache entstanden sind – weitere Indizien dafür, dass es bei der Vergabe eines FPÖ-Mandats im Nationalrat an einen Geschäftsmann mit Kontakten in die Ukraine möglicherweise nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.