Das Außenministerium war das erste Ministerium, das Joe Biden seit seinem Amtsantritt besuchte, um eine Grundsatzrede zu halten, und er machte damit den Bruch mit seinem Vorgänger deutlich: „Amerika ist wieder da, die Diplomatie ist zurück“, sagte der neue US-Präsident. „Wir werden unsere Bündnisse reparieren und uns wieder mit der Welt austauschen“. Eine klare Absage an den Isolationismus Donald Trumps und ein Bekenntnis um Multilateralismus.

Man darf ihm glauben, dass er es ernst meint: Schon am ersten Tag im Amt leitete Biden unter anderem die Rückkehr der USA in die Weltgesundheitsorganisation und ins Klimaabkommen in die Wege. In seiner Rede kündigte er nun an, den von Trump geplanten Truppenabzug aus Deutschland auf Eis zu legen. Bemerkenswert sein Kurswechsel auch in dem von der Welt weitgehend vergessenen Krieg im Jemen: Biden will die US-Unterstützung für die Kampfhandlungen und Offensive der Saudis einstellen und stattdessen auf einen politischen Prozess zur Konfliktlösung setzen.

In Europa werden diese Schritte nach den Erschütterungen der Trump-Jahre mit Erleichterung aufgenommen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wies erst kürzlich darauf hin, dass gerade die Pandemie die globale Verknüpfung aller Länder und die Notwendigkeit konkreter Zusammenarbeit gezeigt habe. Ganz so leicht dürfte die Rückkehr zum Multilateralismus dennoch nicht werden: Biden will zwar mehr reden mit seinen Partnern – doch auch er pocht auf den globalen Führungsanspruch der USA. Zugleich ist dieser in der heutigen, multipolaren Welt längst nicht mehr so akzeptiert wie früher.

Dazu kommt, dass die Jahre unter Trump, sein Zurückschrauben des außenpolitischen Engagements der USA, in vielen Bereichen ein Vakuum hinterlassen haben, das andere zu füllen wussten. In Syrien etwa hat sich das Blatt zugunsten des autoritären Staatschef Bashar al-Assad gedreht – unter tatkräftiger Hilfe Russlands, das unter Putin seine Position im Nahen Osten stärken konnte. Klar ist, dass Bidens Angebot einer internationalen Zusammenarbeit nicht bedeutet, dass er amerikanische Interessen aufgibt – auch wenn er seine Variante von „America First“ seinen Partnern nicht so penetrant ins Gesicht schreien wird wie sein Vorgänger.

Gegen Handelskrieg

Wird sein Gesprächsangebot angenommen? Interessant ist, dass auch Hauptrivale Xi Jinping, Staatschef Chinas, kürzlich für mehr Multilateralismus warb. „Die Geschichte und Wirklichkeit haben es wiederholt deutlich gemacht, dass der fehlgeleitete Ansatz des Antagonismus und der Konfrontation, sei es in der Form eines kalten Krieges, eines richtigen Krieges, eines Handelskrieges oder Technologiekrieges am Ende den Interessen aller Länder schadet und das Wohlergehen aller untergräbt“, sagte Xi.

Das klingt versöhnlich. Dennoch ist damit keinesfalls gemeint, dass China mit den USA im Gleichklang marschieren möchte. Schon in den ersten Tagen der Amtsübernahme Bidens gab es Machtdemonstrationen und Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten. Chinesische Bomber und Kampfflugzeuge drangen in Taiwans Zone zur Luftverteidigung ein; die USA entsandten den Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt ins Südchinesische Meer.

Jedem sein Bündnis

Zugleich schmieden beide Seiten ihre eigenen Bündnisse: Noch im November schloss Peking mit 14 asiatisch-pazifischen Staaten das RCEP-Handelsabkommen – diese Länder stellen gemeinsam ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung.
Biden wird bei China, wie auch Russland gegenüber, auf eine differenzierte Strategie setzen: Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen, etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels, aber eine harte Kante in der Handelspolitik und bei Fragen wie dem Völkerrecht und den Menschenrechten.

Keine Nibelungentreue

Auch was die Europäer anbelangt, wird die Zusammenarbeit mehr von Pragmatismus als von heißer Liebe geprägt sein: Der neue, freundlichere Umgangston Washingtons wird vieles erleichtern. Doch die transatlantische Nibelungentreue, die die ersten drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg prägte, sollten sich weder die Europäer noch die USA voneinander erwarten. Es gibt Gemeinsamkeiten – aber nicht nur. Auch Biden erwartet, dass seine Partner Verantwortung übernehmen. Europa wiederum wird nicht darum herumkommen, im Kräftemessen zwischen den USA und China seine eigene Linie zu entwickeln und in manchen Dingen nein zu sagen – ansonsten droht es zwischen den beiden Rivalen zerrieben zu werden.

Ob das mit dem „Mitander Reden“ etwas wird, ist auch beim Thema Iran noch völlig offen. Seit Trump das Atomabkommen einseitig aufgekündigt hat, geht die Entwicklung bei der atomaren Rüstung im Iran in die falsche Richtung. Biden wird, so erwarten Diplomaten, zunächst darauf setzen, dass die Iraner freiwillig zu dem Abkommen zurückkehren; dann könnte Washington folgen und bei den Sanktionen nachgeben. Ob die Ayatollahs diesen Schritt setzen werden, steht in den Sternen.