Myanmars faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi erklärte, einige Rohingya-Flüchtlinge hätten das Ausmaß der Gewalt womöglich "übertrieben". Das Gericht sei der Ansicht, dass die Rohingya in Myanmar weiterhin "extrem gefährdet" seien und vor weiterem Blutvergießen geschützt werden müssten, sagte der Vorsitzende Richter Abdulqawi Ahmed Yusuf.

Bei koordinierten Attacken der Streitkräfte in Myanmar waren 2017 vermutlich tausende Menschen getötet worden. Zahlreiche Flüchtlinge berichteten von Vergewaltigungen und Brandschatzungen durch Soldaten und örtliche buddhistische Milizen. UNO-Ermittler bezeichneten die Übergriffe als "Völkermord". Mehr als 740.000 Rohingya wurden aus dem südostasiatischen Land vertrieben. Sie flohen ins benachbarte Bangladesch, wo noch immer rund 600.000 von ihnen leben.

Der IGH stimmte am Donnerstag einer Reihe von Dringlichkeitsmaßnahmen zu, die von Gambia mit Verweis auf die Völkermordkonvention von 1948 gefordert worden waren. Myanmar müsse "alle Maßnahmen, die in seiner Macht stehen, ergreifen, um alle Taten zu verhindern", die in der Konvention genannt würden, sagte der Vorsitzende Richter. Dazu gehörten die "Tötung von Mitgliedern der Gruppe" und die "vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen".

Das Gericht forderte Myanmar auf, binnen vier Monaten einen Bericht über die getroffenen Maßnahmen vorzulegen und anschließend alle sechs Monate Bericht zu erstatten. Zudem müsse Myanmar die Vernichtung von Beweisen für Verbrechen gegen die Rohingya verhindern.

Der IGH soll klären, ob Myanmars Streitkräfte mit ihrem Vorgehen gegen die muslimische Minderheit gegen die Völkermordkonvention von 1948 verstoßen haben. Das Verfahren war von Gambia im Namen der 57 Mitgliedstaaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit angestrengt worden und wird von Kanada und den Niederlanden unterstützt. Gambia hatte das Gericht aufgefordert, eine einstweilige Verfügung gegen Myanmar zu erlassen, da eine endgültige Entscheidung erst in mehreren Jahren fallen könnte.

Die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi erklärte in einem kurz vor der Gerichtsentscheidung veröffentlichten Kommentar für die Zeitung "Financial Times", einige Rohingya-Flüchtlinge könnten das Ausmaß der Misshandlungen "übertrieben" haben. Möglicherweise sei das internationale Justizsystem "noch nicht darauf ausgerichtet, irreführende Informationen herauszufiltern, bevor Schatten von Anschuldigungen auf ganze Nationen und Regierungen fallen", erklärte die faktische Regierungschefin des Landes, der von Kritikern vorgeworfen wird, als einstige Demokratie-Ikone nun die Militärs zu decken.

Suu Kyi forderte zudem, ihrem Land solle Zeit eingeräumt werden, auf die Ergebnisse einer nationalen Untersuchung zu reagieren. Diese habe in dieser Woche festgestellt, dass einige Militärs womöglich Kriegsverbrechen verübt hätten, es aber keinen Völkermord gegeben habe. Die Nobelpreisträgerin hatte ihr Land im Dezember persönlich vor dem IGH gegen den Vorwurf des Völkermords verteidigt.

In den Rohingya-Flüchtlingslagern in Bangladesch wurde die Gerichtsentscheidung begrüßt. "Das ist ein großer Tag für uns", sagte der im Flüchtlingslager Cox's Bazaar lebende Schriftsteller und Dichter Mayyu Ali der Nachrichtenagentur AFP am Telefon.

Der Regionaldirektor der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Nicholas Bequelin, erklärte, die Entscheidung sende "eine Botschaft an die führenden Vertreter Myanmars: Die Welt wird ihre Gräueltaten nicht tolerieren."