Im Kinofilm "Philomena" von Stephen Frears aus dem Jahr 2013 spielt Judi Dench die fast 70-jährige Philomena Lee, die sich zusammen mit einem Journalisten auf die Suche nach ihrem Sohn begibt. Der Film erzählt eine wahre Geschichte basierend auf dem Buch "The Lost Child of Philomena Lee" von Martin Sixsmith. Darin gesteht die pensionierte Krankenschwester Philomena Lee ihrer Tochter, dass sie in jungen Jahren einen unehelichen Sohn geboren hatte. In Irland wurden unverheiratete Mütter damals zur Geburt oft in Heime für "gefallene Mädchen" geschickt, und ihr Kind wurde zur Adoption freigegeben – so auch Philomenas Sohn Anthony. 

Heime für "gefallene Mädchen"

In solchen Mutter-Kind-Heimen für unverheiratete Frauen sind laut einem aktuellen Untersuchungsbericht im 20. Jahrhundert Tausende Babys und Kinder gestorben. "Rund 9.000 Kinder starben in den untersuchten Heimen - etwa 15 Prozent aller Kinder, die in den Heimen waren", heißt es in dem Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission, der nun in Irland veröffentlicht wurde. Der Bericht sorgt in Irland für Empörung und Entsetzen.

Als Haupttodesursachen der Säuglinge und Kinder wurden Atemwegserkrankungen und Magen-Darm-Entzündungen festgestellt. In den Heimen lebten unverheiratete Frauen mit ihren Kindern, die von der Gesellschaft in dieser Zeit verachtet wurden. Katholische Ordensschwestern betrieben diese „Magdalenenheim“ genannten Institute. Die ledigen Frauen mussten oft im Dienst der Einrichtungen arbeiten, um für ihre „Sünden“ zu büßen. Zahlreiche Zeuginnen sprachen später von Misshandlungen der Mütter und Kinder, von Vernachlässigungen und sogar Verkäufen von Kindern in die USA. 2014 wurden auf dem Gelände eines dieser Heime in Tuam die Überreste von 800 Kinderleichen entdeckt. Die Heime wurden übrigens von der Regierung kontrolliert.

"Die Abwesenheit von professionellem Personal, kombiniert mit einer generellen Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der in den Mutter-Kind-Heimen geborenen Kinder, hat zu der entsetzlichen Säuglingssterblichkeit beigetragen", heißt es in dem nun vorgelegten aktuellen Bericht.

Der Kommission zufolge war es vor 1960 für die als illegitim erachteten Kinder wahrscheinlicher, in den Heimen zu sterben als außerhalb. "Es war außerordentlich kalt und harsch für Frauen. Alle Frauen litten unter ernsthafter Diskriminierung", schrieben die Autoren und Autorinnen des Berichts.

Der irische Ministerpräsident Michael Martin kündigte eine offizielle Entschuldigung im Parlament an. Der Bericht zeichne das Bild einer "über Jahrzehnte hinweg vorherrschenden frauenfeindlichen Kultur in Irland". Der jahrzehntelange Skandal sei eines der schwärzesten Kapitel in der Geschichte des Landes.

"Völlig gestört"

"Wir hatten eine völlig gestörte Einstellung zur Sexualität und Intimität, und junge Mütter sowie ihre Söhne und Töchter mussten für diese Störung einen furchtbaren Preis bezahlen", erklärte der irische Regierungschef Martin. Eine "bittere Wahrheit" sei, dass die "ganze Gesellschaft daran mitschuldig war", sagte der Regierungschef. Es sei deshalb wichtig, sich mit dieser Tragödie "als Volk" auseinanderzusetzen.

Unterdessen muss Irlands Regierungschef nun auch an allen Fronten gegen die neue aggressive Coronavirus-Mutation kämpfen. Am Mittwoch lag die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen des Landes erstmals über dem Höchststand vom Frühjahr. Im Durchschnitt der vergangenen Woche lag die Grüne Insel, bezogen auf die Bevölkerungsgröße, weltweit an der Spitze der täglichen Neuinfektionen. Dem ohnehin maroden Gesundheitssystem droht nun der Kollaps.