„Joshua wird verhaftet, als er sich heute gegen 1 Uhr nachmittags bei der Central Police Station vorstellt“, verkündete Joshua Wong am Donnerstag über Twitter. Dass er offenbar über sich selbst in der dritten Person schreibt, wundert in der 7,5-Millionenmetropole niemanden mehr. Längst hat er sein eigenes Social Media-Team. Mit fast 690.000 Followern auf Twitter ist der 23-jährige Student eine der bekanntesten Persönlichkeiten ganz Hongkongs. Seit Jahren gehört er zu den Köpfen der Demokratiebewegung im Stadtstaat, der gerade im Begriff ist, seinen Autonomiestatus zu verlieren.

Theoretisch gilt zwischen China und Hongkong das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, seit die Halbinsel an der Südküste nach 99 Jahren unter britischer Kolonialherrschaft im Jahr 1997 wieder an China übergeben wurde. Für zumindest 50 Jahre sollte Hongkong ein Sonderstatus zugesichert bleiben, der unter anderem die freie Meinungsäußerung vorsieht. Auch freie Wahlen waren den Menschen zugesagt worden. Nur wurde über Jahre von Festlandchina aus versucht, dies vergessen zu machen. Seit Juli gilt das in Peking beschlossene Nationale Sicherheitsgesetz, das Kritik an der Regierung unter Strafe stellt – auch mit langen Gefängnisstrafen.

Für Joshua Wong ist ein Aufenthalt hinter Gittern zwar nichts Neues mehr. Seit er im Jahr 2014 die Regenschirmproteste mitorganisierte, im Rahmen derer Hunderttausende gegen den Trend zum Pekinger Autoritarismus auf die Straße gingen, musste Wong mehrmals ins Gefängnis. Er selbst hat in Gesprächen gesagt, diese Erfahrungen haben ihn nur stärker gemacht und ihn bekräftigt, sich für seine Überzeugungen einzusetzen. Dabei hat das Inkrafttreten des Nationalen Sicherheitsgesetzes diese Lebensvorstellung nun offiziell für verboten erklärt.

Die populäre Demokratiebewegung „Demosisto“, die Wong angeführt hat, wurde mit Inkrafttreten des Gesetzes Anfang Juli aufgelöst. Zunächst hatte auch Wong selbst das Ende seines politischen Engagements verkündet. Den Kampf um ein demokratisches Hongkong hielt er offenbar für hoffnungslos verloren. Kurz darauf aber wollte er doch weitermachen und kündigte an, für ein Mandat im Hongkonger Stadtparlament zu kandidieren, wenngleich der festlandchinesische Einfluss auf das Hongkonger Wahlsystem enorm ist.

Aus diesem Plan wird wohl nichts. Zwar wurde Wong kurz nach seiner Festnahme am Donnerstag laut Medienberichten schon wieder gegen Kaution freigelassen. Seine Kandidatur um einen Platz im Stadtparlament aber wurde von Behörden abgelehnt. Unterdessen verkündete Hongkongs Stadtregierung, die jener aus Festlandchina nahesteht, dass die für September angesetzten Wahlen zunächst gar nicht stattfinden würden. Das offizielle Argument hierfür ist die hohe Infektionsgefahr, die inmitten der Coronapandemie von einer Wahl ausginge.

Dabei wurden seit Ausbruch der Pandemie an anderen Orten wie Südkorea oder der Metropole Tokio, wo die relativen Fallzahlen mindestens ähnlich hoch liegen, sehr wohl Wahlen abgehalten. In Hongkong kommen auf 7,5 Millionen Einwohner ohnehin nur gut 5.000 Infektionsfälle. In Deutschland und Österreich sind es pro Kopf ungefähr zehnmal so viele. Kaum auszuschließen ist unterdessen, dass die Infektionszahlen in Hongkong inmitten der aktuellen Entwicklungen zunehmen.

Die auf den Straßen weiterhin stattfinden Demonstrationen gegen die neuen Regeln aus Peking werden von der Polizei nicht nur bekämpft. Es werden auch regelmäßig Aktivisten festgenommen. Seit Juli ist die Zahl der Festnahmen auf über 10.000 gestiegen. Laut Statistiken aus den USA ist dieser Wert schon jetzt, kaum drei Monate nach Inkrafttreten des Nationalen Sicherheitsgesetzes, etwas höher als die Zahl der politischen Gefangenennahmen im wesentlich größeren Festlandchina zwischen 1981 und 2018. Zwar wird vermutet, dass der wahre Wert für China höher liegt. Zudem werden bisher von den 10.000 Festnahmen in Hongkong nur rund 20 Prozent auch inhaftiert. Aber die Entwicklungen in Hongkong lassen vermuten, dass die Situation eher noch harscher wird.

So stellte die demokratisch eingestellte Onlinezeitung Hong Kong Free Press schon Mitte September die Frage: „Was wird passieren, wenn sich die Gefängnisse mit politischen Gefangenen füllen?“ Viele von ihnen würden „viele Jahre im Gefangenschaft verbringen“ und hätten dort „viel Zeit zum Denken.“ Langfristig könnten die Gefängnisse Hongkongs, so die Vermutung, daher ein Zentrum neuer Rebellionen werden.

Kurzfristig dagegen könnten die Gefängnisse, sofern der aktuelle Trend anhält, bei gleichbleibender Verfügbarkeit von Raum und einer steigenden Personenzahl auch zu einem neuen Infektionsherd werden. Wobei die Regierung insbesondere durch die Absage der Wahl im September ja offiziell dieses Risiko geringhalten halte.

Auch der Demokratieaktivist Joshua Wong ist vor einem neuerlichen Gefängnisaufenthalt nicht sicher, zuletzt sagte er sogar, er rechne damit. Der Vorwurf gegen ihn, gesetzeswidrige Versammlungen organisiert zu haben, soll am 30. September vor Gericht besprochen werden.