Der Ethikrat der ÖVP kritisiert die in den Chats bekannt gewordenen Aussagen von Parteiobmann und Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das Gremium unter der Leitung der früheren steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic "stellt fest, dass die Wortwahl und der mangelnde Respekt in einigen der an die Öffentlichkeit gelangten Chats völlig unangemessen und abzulehnen ist und dem Verhaltenskodex widerspricht, auch wenn es sich nicht um öffentlich getätigte Äußerungen handelt".

Entschuldigung zur Kenntnis genommen

Gleichzeitig hält der Ethikrat in seinem Beschluss aber auch fest, diese sei "ohne Beachtung von Datenschutz und Privatsphäre öffentlich gemacht. Vor allem wurden sie auch ohne Rücksicht auf sämtliche Begleitumstände und aus dem Zusammenhang gerissen öffentlich."

"Der Ethikrat nimmt die dafür erfolgte Entschuldigung zur Kenntnis", heißt es in der Erklärung. Kurz hatte zuletzt gesagt, dass er manche Formulierungen so nicht mehr verwenden würde und sie "bedauert". Der Ethikrat erwartet, "dass ein derartiger Umgangston künftig nicht nur unterlassen wird, sondern dass vielmehr ein respektvoller Umgangston auch in der privaten Kommunikation von Funktionsträgerinnen gepflogen wird".

Verweis auf Unschuldsvermutung

Die in staatsanwaltschaftlicher Untersuchung befindlichen Sachverhalte kann der Ethikrat nach eigenen Angaben derzeit nicht beurteilen. "Diesbezüglich hat auch die Unschuldsvermutung zu gelten." Bereits am Donnerstag hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft um Aufhebung der Immunität des nunmehrigen Nationalratsabgeordneten Kurz angefragt, um weiter aufklären zu können.

Die weitere Entwicklung will der Ethikrat "aufmerksam beobachten und begleiten". Weitere Sanktionen, die theoretisch bis hin zu einem Parteiausschluss reichen könnten, hat der Ethikrat abseits der genannten Empfehlung, einen derartigen Umgangston zu unterlassen, nicht ausgesprochen.

Kritik aus Tirol

Unterdessen meldete sich am Freitag mit Tirols schwarzem Arbeiterkammerpräsidenten Erwin Zangerl einmal mehr ein scharfer Kritiker der türkisen Politik unter Sebastian Kurz zu Wort. Er forderte eine "lückenlos Aufarbeitung" durch den ÖVP-Ethikrat in einigen für ihn zentralen Fragen. "Wer war an dem Putsch innerhalb der ÖVP beteiligt? Wer hat das "Projekt Ballhausplatz" finanziert und sich durch Kurz' Sprung an die Staatsspitze Vorteile erhofft - und später eingefordert? Wie hoch ist der Schaden, den die Nichtabschaffung der Kalten Progression sowie die fehlende flächendeckende Kinderbetreuung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verursacht hat?", will Zangerl in einer Aussendung geklärt wissen. Schließlich sei "durch diejenigen, die den Putsch in der ÖVP verursacht haben", das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik zutiefst erschüttert worden. "Außerdem hat die Vorgehensweise dieser Gruppe die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Milliarden gekostet", meinte der Tiroler AK-Chef.

Der Ethikrat der ÖVP war 2012 unter der Ägide des damaligen Obmannes Michael Spindelegger unter dem Vorsitz von Klasnic eingerichtet worden. Aufgabe des Ethikrates ist es, über die Einhaltung des Verhaltenskodex zu wachen, den die ÖVP für ihre Politikerinnen und Politiker beschlossen hat.