In den Chats, die Korruptionsstaatsanwälte bei diversen Zuarbeitern des türkisen Regierungsteams sichergestellt haben, finden sich nicht nur Details zum Postenschacher – sie geben auch einen seltenen unmittelbaren Einblick in die Arbeitsweise von und Machtverhältnisse zwischen Ministern und ihren Mitarbeitern.

Kurz war so sauer“, schreibt da ein enger Mitarbeiter eines ehemaligen ÖVP-Regierungsmitglieds einem anderen, „ich habe ihm alle deine Aufräumarbeiten geschickt“. Mit dem Regierungsmitglied, formal seinem Vorgesetzten, geht er hart ins Gericht: „Bei dem musst du aufpassen, alles musst du machen: Wenig Medien, Fernsehen vermeiden und vor allem Radio“ gibt er vor.

Die beiden diskutieren dann weiter, wie sie es anstellen könnten, dass ihr Schützling begreift, dass er „fleißig sein muss“ und gefälligst die Briefings lesen soll, die ihm seine Mitarbeiter vorlegen, nachdem er einige Fauxpas fabriziert hat. „Gar nicht“, urteilt am Schluss der eine: das Regierungsmitglied sei „Lost in Transition“.

Vertrauensleute des Kanzlers statt der Minister

Das ist eine Unterhaltung, die auf den Punkt bringt, wie sich die Machtstrukturen an der Spitze der Bundesverwaltung – zumindest auf türkiser Seite – in den vergangenen Jahren verschoben haben. Kabinettsmitarbeiter wie die beiden genannten waren in der zweiten Republik bisher üblicherweise handverlesene Vertrauensleute ihrer Minister.

Mit dem Aufstieg Sebastian Kurz’ (ÖVP) hat sich das geändert: Etlichen Quereinsteigern wurden praktisch fertige Personalstäbe vorgesetzt – zumindest, was die Schlüsselpositionen Kabinettschef, Pressesprecher und Generalsekretäre angeht. Der Effekt: Ihre Loyalität gilt nicht mehr unmittelbar dem Minister, dem sie zugeordnet sind, sondern dem türkisen System, in dem sie eben dem Kanzler direkt über Wirkung, Fehler und „Aufräumarbeiten“ in ihrem Ressort berichten.

Kabinette, die Kupplung der politischen Macht

Idealtypisch sind Kabinette die Scharniere zwischen Ministern, die den Kurs vorgeben, und den starren Beamtenstrukturen, die unabhängig von der politischen Ebene ihre Aufgaben erledigen: Sie geben den politischen Willen nach „unten“ weiter, berichten und briefen ihren Minister über Vorgänge im Ministerium.

In den vergangenen Jahren hat sich diese Rolle verändert: Mit häufigen Ministerwechseln wuchsen die Kabinette an, um die Ministerien unter Kontrolle zu halten – und immer wieder wurden Kabinettsmitarbeiter (deren Vertrag grundsätzlich mit der Amtszeit ihres Chefs endet) zu Beamten befördert.

Kanzler mit wenig Macht

Zu diesen schon länger bestehenden Trends kam mit Kurz eben noch zunehmende Zentralisierung: Wo sich Minister früher ihre engsten Mitarbeiter selbst ausgesucht hatten, setzten Partei und Kanzleramt den türkisen Regierungsmitgliedern – zumindest jenen, die ohne politische Hausmacht in die Regierung kamen – nun Vertrauensleute in die Büros.

„Das wird wohl auch eine Reaktion auf die relativ geringe Macht des österreichischen Bundeskanzlers sein“, sagt Manfred Matzka, ehemaliger Chef der Präsidialsektion des Bundeskanzleramts und einer der versiertesten Kenner der Spitzenverwaltung. Im Gegensatz zu beispielsweise der deutschen Kanzlerin hat der österreichische Kanzler keine rechtliche Möglichkeit, „seinen“ Ministern Aufträge zu erteilen.

Kann er aber über sie Einfluss auf die Kabinette nehmen, etwa indem ihm die Mitarbeiter direkt berichten, was dort vorgeht, hat er viel mehr Gestaltungsspielraum. „Dass der Kanzler das vorgibt, ist absolut neu“, sagt Matzka – und gepaart mit politischen Leichtgewichten im Ministeramt und den unter Türkis-Blau in fast allen Ministerien eingeführten Generalsekretären eine Machtfülle, die bisher kaum ein Kanzler gehabt hat – auch eine Lehre aus rot-schwarzen Koalitionen, in denen starke Minister ihre Kanzler schon einmal auflaufen ließen.

In Kurz’ Team will man zu diesem Wandel auf Anfrage nichts sagen.