Ein 54-Jähriger, der an unheilbarer Multipler Sklerose leidet – und selbst entscheiden will, wann er stirbt.

Ein 75-Jähriger, der schon seiner Frau beim Suizid geholfen hatte, indem er ihr eine Pistole besorgte.

Ein Parkinson-Patient, der nicht einmal mehr ins Ausland reisen kann, um etwa in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.

Und ein Arzt, der schwer kranke Patienten gerne dabei aktiv unterstützen würde, zu sterben.

Diese vier Antragsteller haben den Verfassungsgerichtshof dazu gebracht, darüber zu beraten, ob das Verbot der Sterbehilfe in Österreich – konkret die Paragrafen 77 („Tötung auf Verlangen“) und 78 („Mitwirkung am Selbstmord“) aufgehoben werden soll. Gemeinsam mit der „Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL)“ versuchen die vier, eine Liberalisierung der Sterbehilfe zu erwirken.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) befasst sich heute, Donnerstag in einer öffentlichen Verhandlung mit dem strikten Verbot der Sterbehilfe. ÖGHL-Anwalt Wolfram Proksch sieht darin ein Signal, „dass der Gerichtshof die Thematik ernst nimmt“.

In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Februar das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe aufgehoben. Das bedeutet zwar nicht, dass der VfGH das für Österreich genauso sehen wird, „aber wir bewegen uns mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta im selben Grundrechtsrahmen“, so Proksch zur Kleinen Zeitung. Im Kern wird die Frage stehen, inwieweit die Menschenwürde (auch deren Auslegung wandelt sich) erlaubt, über das eigene Leben verfügen zu dürfen – oder ob sie gebietet, es unter allen Umständen zu schützen.

Während die Gegenposition in dem Verfahren vor 14 Verfassungsrichtern formal von der Bundesregierung vertreten wird, gibt es auch in der Zivilgesellschaft viel Widerstand gegen eine Aufweichung der Verbote: Neben kirchlichen Organisationen lehnt etwa die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie eine Änderung der Strafbestimmungen ab.

Regierung: Schon jetzt "ausreichend Möglichkeiten"

Die Vertreter der Regierung und ihre Auskunftspersonen haben in der Verhandlung die bestehende Rechtslage verteidigt. "Wir haben ausreichend Möglichkeiten, um ein menschenwürdiges Sterben auf unseren Palliativstationen und anderen Stationen zu gewährleisten", sagte der Palliativmediziner Herbert Watzke. Die Antragsteller wiesen das zurück - und kritisierten insbesondere, dass Sterbewilligen anstatt eines assistierten Suizids "Hintertürchen" angeboten würden.

Watzke erklärte, dass es schon jetzt möglich sei, Behandlungen zu verweigern - also etwa auch im Fall einer zusätzlich auftretenden Infektionskrankheit die Antibiotika abzulehnen. "Praktisch alle Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen neigen zu Infektionen. Sie können diese Möglichkeit nutzen, selbstbestimmt mit unserer Betreuung würdevoll das Leben zu verlassen", meinte der Mediziner. Und im Fall von schwerer Atemnot gebe es die Möglichkeit einer "Sedierungstherapie".

Auch Strafrechts-Sektionschef Christian Pilnacek vom Justizministerium hatte zuvor auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung, einer Vorsorgevollmacht sowie auf das Ärztegesetz verwiesen. Dort (Paragraf 49a) ist geregelt, dass eine Schmerztherapie bei Sterbenden auch dann gesetzt werden darf, wenn sie den Tod beschleunigt. In Summe bringe das "einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen auf Schutz des Lebens und jenen, die sich aus Artikel 8 EMRK ergeben - nämlich der Autonomie und dem Schutz des Rechts auf Privatheit".

"Ich will keine Hintertürchen"

Nicht gelten lassen wollte das Nicola Göttling, selbst an Multipler Sklerose erkrankt und Auskunftsperson der Antragsteller, die auf eine Liberalisierung der Sterbehilfe hoffen. "Es gibt Hintertürchen, das stimmt", sagte sie. "Ich muss mir nur eine Infektion zuziehen, dann ins Krankenhaus fahren und die Behandlung verweigern." Aber ihre Beine seien bereits gelähmt und wenn die Lähmung in den nächsten Jahren auch ihre Arme erfasse, dann müsse sie gewickelt und gefüttert werden. Sie wolle daher kein "Hintertürchen", sondern die Möglichkeit zu sterben, "weil mein Leben entwürdigend ist".

Der Anwalt der Antragsteller, Proksch, ließ den Verweis auf die fortgeschrittene Schmerztherapie nicht gelten. Er kritisierte, dass nach dem Stand der Medizin zwar tatsächlich nur zwei Prozent der Sterbenden Schmerzen leiden müssten. Tatsächlich müsse wegen der Zweiklassenmedizin aber ein Viertel unter Schmerzen sterben.

Schon zuvor hatte er darauf hingewiesen, dass die Strafbarkeit der "Mitwirkung am Selbstmord" vom Austrofaschismus geschaffen worden sei - und zwar aus religiös-moralischen Gründen. Bei allem gebotenen Respekt für die Ansichten von Glaubensgrundsätze der Religionsgesellschaften könne eine derart moralische Wertung nicht zur Strafbarkeit für die Betroffenen führen, kritisierte der Anwalt.

Dem trat wiederum die frühere SP-Politikerin Elisabeth Pittermann entgegen. Sie sei nicht religiös und schon gar nicht glaube sie an ein ewiges Leben. Aber sie sei mit den Verbrechen des Nationalsozialismus aufgewachsen und daher müsse es eine "Tötungshemmung" geben. "Es muss ein Grundsatz sein, dass man nicht töten darf." Dies müsse gerade für Ärzte gelten, denn hier drohe massiver Missbrauch: "Wer hat mehr Möglichkeiten, unauffällig zu töten, als die Ärzte."

"Geschäftsmäßige Sterbehilfe" erlaubt

In Deutschland, wo Beihilfe zum Suizid nicht per se verboten ist, hat der Verfassungsgerichtshof kürzlich das Verbot der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" aufgehoben. Es sei klar, dass Österreichs VfGH nicht an das gebunden sei, was andere Verfassungsgerichtshöfe entschieden hätten, betont Proksch. "Aber wir bewegen uns in einem doch ähnlichen, vielfach gleichen Rechtsrahmen", verwies er auf die Europäische Menschenrechtskonvention und die Grundrechtscharta.

Historisch gesehen habe Österreich 1850 die Todesstrafe und damit auch die Strafbarkeit des Suizids sowie die Mitwirkung daran aufgehoben. Erst 1933/34, also in der Zeit des Austrofaschismus, sei dies - gemeinsam mit der Wiedereinführung der Todesstrafe - wieder geändert worden; "unter dem Blickwinkel auf die gottgegebene Ordnung und die Versündigung gegen Gott", wie Proksch erklärte.

Recht auf Selbstbestimmung

Die nunmehrigen Antragsteller - drei Betroffene und ein Arzt - fechten die Paragrafen 77 und 78 aus diversen Gründen an, etwa unter Berufung auf das Recht auf Leben, das Verbot der Folter, dem Recht auf Religionsfreiheit (auch im negativen Sinn), die Menschenwürde, das Recht auf Selbstbestimmung und auch jenes auf Privatsphäre. In einer freien und demokratischen Gesellschaft sei die Autonomie ein derart hohes Gut, dass der Staat nicht vorzuschreiben habe, auf welche Art man sterben wolle, und dass man auch nicht leiden müsse, wenn man das nicht wolle. Durch die bestehende Rechtslage würden leidende Menschen gezwungen, entweder entwürdigende Verhältnisse erdulden oder (unter Strafandrohung für Helfer) Sterbehilfe im Ausland in Anspruch nehmen zu müssen.

"Terminale Sedierung"

Außerdem, so der Anwalt, bestehe die Frage der Abgrenzbarkeit zu bestehenden Möglichkeiten der Sterbebegleitung, etwa zur "terminalen Sedierung", durch die der Patient schneller stirbt und den Sterbeprozess nicht mehr mitbekommt. "Eine Abgrenzung zwischen all diesen Möglichkeiten und der Möglichkeit zum assistierten Suizid, den wir mit Anträgen fordern, ist in Wahrheit nicht mehr gegeben", so Proksch.

Der Anwalt, an den ursprünglich der Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas herangetreten war und der auch im Beirat der "Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende" vertreten ist, kennt auch die Argumente der Verteidiger der bestehenden Regelung, etwa der katholischen Bischofskonferenz. "Ist das Verbot der Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zur Selbsttötung einmal aufgehoben, dann ist der Schritt zu einer gesellschaftlichen Normalität, die schließlich in eine soziale Pflicht pervertiert, nicht weit", hatte diese bereits 2019 postuliert. Für Proksch argumentieren die Gegner entweder moralisch (Suizid als sozial inadäquate Handlung), mit der Warnung eines Missbrauchspotenzials oder der Gefahr, dass Menschen etwa von Verwandten in den Selbstmord gedrängt werden könnten. Für ihn ist all das nicht haltbar.