Die Coronakrise hat mehrere wuchtige Umbrüche gebracht, auch im Hinblick auf die Dramatik sozialer Fragen. So ist die Arbeitslosenquote im März in wenigen Tagen auf die höchste Rate seit 1946 gestiegen. Jetzt, so scheint es, kommt die Angst vor Armut in der Mittelschicht an. Wenn unmittelbar nach Verlautbarung der Förderungen für Klein- und Einzelunternehmer rund 200.000 quasi gleichzeitig die Website der Wirtschaftskammer stürmen, um 500 oder 1000 Euro Hilfe in bar zu bekommen, ist das ein Alarmzeichen der Sonderklasse.

Die Zukunft ist trüb

Nur jetzt oder für länger? Müssen wir uns auf eine Zweidrittelgesellschaft einstellen? Was sind die möglichen Folgen? Es wird schwierige wirtschaftliche, zukunftstrübe Situationen für Millionen Menschen geben, die sich auf das Gesamt der Gesellschaft auswirken. Verstärktes Ringen – auch mit Ellbogen – um staatliche Zuwendung zur Linderung persönlicher Armut wird zunehmen. Wir werden mit neuen Armutsdebatten konfrontiert werden. Ob daraus Gefahren für Demokratie, Staatsverständnis, Wirtschaftskapazität entstehen, wird wohl über das Ausmaß von Hilfestellungen mitentscheiden. Die Grundmelodie unserer Regierenden im März war, dass die Hilfe für neu In-Not-Geratene dramatisch ausgeweitet wurde. Die berühmt gewordene Formel dafür – „Koste es, was es wolle“ – hörte sich nach einer Mindestsicherung in Form eines „vorübergehenden“ Grundeinkommens an.

Die Motive dieses Regierungshandelns sind klar benannt worden: Es geht um die Verhinderung einer Wiederholung eines wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs wie in den 1930er-Jahren. Der führte damals schnurstracks in die Diktatur. In dieser maßlos herausfordernden Situation wird auch die Debatte zur Einführung eines (bedingungslosen) Grundeinkommens mit neuer Dynamik versehen.

Dieses ist – so der gemeinsame Kern mehrerer Modelle – ein Finanztransferkonzept, nach dem jeder Bürger unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage eine gesetzlich festgelegte, für jeden gleiche, vom Staat ausgezahlte finanzielle Zuwendung erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Die österreichischen katholischen Bischöfe haben sich in ihrem Pfingstwort dafür ausgesprochen, darüber zu debattieren, „ob ein erwerbsunabhängiges Grundeinkommen ein sinnvoller Weg ist“.

Keine einfache Diskussion

Die Diskussion über ein Grundeinkommen wird nicht einfach werden. Denn für die einen ist es ein Zustieg in eine paradiesischere Zukunft, für die anderen aber der Abstieg zur Hölle des wirtschaftlichen Niedergangs. Doch egal, ob man Befürworter oder Gegner eines Grundeinkommens ist, es stehen einige fundamentale Ansprüche, die jeder Mensch in unserem Gemeinwesen gesichert haben muss, zur Bewältigung an. Eine Querfeldeinverständigung darüber kann auch unserer Republik nicht schaden.

Selbstverständlich hat jeder Mensch das Recht auf Leben und das Recht auf menschenwürdige Existenz. Die Zutaten menschenwürdiger Existenz liegen auf der Hand. Zumindest Bildung, Arbeit, normale Wohnverhältnisse, medizinische Versorgung, Erlebbarkeit der Rechtsstaatlichkeit gehören dazu. Aber auch die Leistbarkeit von Zeitungsabonnement, Kino- und Theaterbesuch, Urlaub, die Möglichkeit, Freunde einzuladen.

Franz Küberl, geboren 1953 in Graz. Wurde in der Katholischen Jugend groß, war von 1995 bis 2013 Präsident der Caritas Österreich.
Franz Küberl, geboren 1953 in Graz. Wurde in der Katholischen Jugend groß, war von 1995 bis 2013 Präsident der Caritas Österreich. © ballguide

Wir müssen zweifellos gemeinschaftlich mithelfen, dass außergewöhnliche Lebensumstände und Risiken, denen Mitmenschen ausgesetzt sein können, wie chronische Krankheit, Behinderung, Pflegesituationen, aufgefangen werden. Der Markt regelt nicht alles. Weil die berühmte „unsichtbare“ Hand des Marktes nicht immer Gutes tut. Nein, sie kann auch kratzen, abweisen, Leben zerschlagen. Existenzsicherung unter würdigen Bedingungen braucht die sichtbare Hand des Staates und der Mitmenschen. Wir brauchen pragmatische Klarheit über den Wert von Arbeit: Das heißt. selbst für sein Leben sorgen zu können, seine Kompetenzen, Talente, Fähigkeiten einzubringen und durch Arbeit dafür Anerkennung zu erzielen. Und logischerweise braucht es die Umsetzung dieses Anliegens: Denn der Wert der Arbeit kann ja nur durch die reale Möglichkeit des Gebrauchtwerdens am Arbeitsmarkt, vernünftige Arbeitsbedingungen unterstrichen werden. Wir benötigen aber auch Einvernehmen darüber, wie viel soziale Verantwortung Unternehmen selbst haben, bevor sie Mitarbeiter an den Sozialstaat weiterreichen. Sonst wird es finster. Wir brauchen die Sicherung des Zuganges zur Erwerbsarbeit auch für Schwächere, Klärung, wie viel ökonomische Basis für den Einzelnen erforderlich ist, damit Teilnahme und Mitbestimmung in der Demokratie gelingen. Eine Debatte darüber, welche Formen öffentlicher Sozialarbeit es braucht, ist nötig, etwa Sozialarbeit im Sinn von Wohlfahrt mit und für Erwachsene, vergleichbar mit der Jugendwohlfahrt.

Corona hat das Licht auf Gruppen gelenkt, die sich unsere Gesellschaft gerne am Rande hält: 24-Stunden-Betreuerinnen, Erntehelfer und Menschen in (Leih)-Arbeitsverhältnissen, die an Ausbeutung erinnern. Hier muss Abhilfe geschaffen werden. Die Debatten um die Höhe von Mindestlöhnen müssen auch von der Sorge um die Sicherung menschenwürdiger Lebensbedingungen bestimmt werden.

Klar ist, dass die soziale Situation drängend ist. Lösungsorientierte Auseinandersetzung ist notwendig. Denn das Bessere ist der Feind des Guten.

Und das erreichbare Ziel? Vielleicht kein „bedingungsloses“ Grundeinkommen, aber eine „bedingungsvolle“ Existenzsicherung. Bedingungsvoll für den Staat, für den Einzelnen, für die Mitmenschen.

Drei Schritte zu einer Existenzsicherung

Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen, die in diese Richtung gehen. Allerdings sind grundlegende Verbesserungen notwendig. Vor dem Hintergrund meiner Caritas-Erfahrung schlage ich einen Dreischritt vor: Das beste Grundeinkommen ist nach wie vor ein Erwerbsarbeitseinkommen, von dem man leben kann. Das erfordert aber auch entsprechende Anstrengungen von direkten und indirekten Arbeitgebern.

Für jene Menschen, die keine Chance auf übliche Erwerbsarbeit haben, ist es wichtig, Ergänzungsformen der Arbeit bereitzustellen, von denen die Menschen leben können: Beschäftigungsprojekte, beschützende Werkstätten.

Jene, die keine Chance auf Erwerbsarbeit, von der man leben kann, haben, brauchen ein Grundeinkommen. Sonst können sie nicht menschenwürdig leben. Dazu wird es auch ergänzende Formen brauchen: höheres Arbeitslosengeld, verpflichtende Arbeitslosenversicherung für künstlerisch Tätige, Einzelhandelsunternehmer, sozusagen ein AMS mit Sozialauftrag, und öffentliche Initiativen zur Armutsbekämpfung und Armutsvermeidung.

Auch jeder Mitmensch ist gefordert. Viele solidarische Initiativen und Nachbarschaftsangebote haben gerade in der Coronakrise gezeigt, dass unsere Gesellschaft erfreulich bereit und fähig ist, in schwierigen Lebenssituationen aufeinander zu achten. Das waren starke Ergebnisse in einer unfreiwilligen Prüfung, die Einfühlungsvermögen, offene Augen und Ohren erkennbar gemacht hat. Das ist die Mitmenschlichkeitsmatura, die jeder braucht und die das Verständnis schafft, dass reale Existenzsicherung für alle unsere Gesellschaft zukunftsfähiger macht.